Jester Azores Challenge 2012

IMMER AUF DIE NASE
Die ersten zehn Skipper der Jester Azores Challenge 2012 sind in Terceira eingetroffen. Unter ihnen auch der Schweizer Thomas Jucker (59), der bereits an der Jester Challenge 2010 von England nach Newport in den USA teilgenommen und dabei den fünften Platz belegt hatte. Thomas Jucker hat 13 Mal den Atlantik mit Yachten überquert und umsegelte zusammen mit seiner Frau in einem selbstgebauten Holzboot die Welt.

Hier sein Bericht von der Jester Azores Challenge 2012:

So hatten sich die Teilnehmer die Fahrt zu den Azoren nicht vorgestellt: Zwei Wochen hoch am Wind, tagelang kreuzen, viel Wind und hohe Wellen, die den kleinen Schiffen das Vorwärtskommen zeitweise fast umöglich machten.

„Wo sind die lauen Azoren-Winde geblieben?“, fragte Roger Fitzgerald von der „Ella-Trout“ in einer Email gegen Ende der zweiten Woche der Regatta. „Seit dem Start segeln wir gegen den Wind“, konstatierte Fitzgerald, „wir leben in einer Kiste die mehr als 20 Grad Lage schiebt und wild in alle Richtungen hüpft. Man schafft es nur mit Mühe eine anständige Tasse Tee zu brauen, und eigentlich ist der einzige sichere Ort an Bord die Koje.“

Roger  Fitzgerald ist mit seinen 75 Jahren der älteste Teilnehmer an dieser Regatta, gleichzeitig ist er aber auch einer der härtesten Segler in der Gruppe. Während der Jester-Challenge 2010 (von England nach den USA) erkrankte er schwer und kam nur dank starker Antibiotika über die Runden. Zudem hatte er damals grosse Probleme mit dem Rigg seiner Dehler 29 und musste dauernd damit rechnen den Mast zu verlieren. Doch Roger segelte verbissen und knallhart weiter und enterte sogar trotz hohem Fieber mitten im Nordatlantik in den Mast. Er wurde damals dritter – diesmal kam er sogar als Zweiter an. Ein Segler also, der sich nicht so leicht beklagt.

Da liegt meine Klage-Schwelle schon deutlich tiefer: Ich fand meine 16 Tage dauernde Fahrt von Plymouth nach Praia da Vitoria auf Terceira schlicht grässlich. Ein normales Bordleben war fast unmöglich und eine warme Mahlzeit herzustellen brauchte etwa gleich viel Energie wie einem das Essen am Ende zuführte – ich habe denn auch vier Kilo abgenommen. Und während ich mich an mein Schiff krallte, das unablässig in die steile Seite der Wellen krachte und nur mühsam voran kam, wanderten meine Gedanken unweigerlich zu jenen Männern, die eine solche Tortur nicht nur wochen- sondern monatelang erduldet haben. Als erstes zu Chay Blyht, der 1971 mit seiner 59 Fuss langen British Steel als Erster NONSTOP gegen den Wind,  um die Welt segelte; oder zum Franzosen Jean Luc Van Den Heede, der die Erde mit seiner 25.60 m langen Aluyacht ebenfalls in Ost-West-Richtung umsegelte und mit 122 Tagen und 14 Stunden den Rekord für diese Fahrt bis heute inne hat.

Und natürlich kam mir der Wilfried Erdmann in den Sinn, der mit seiner nur 10.20 m langen Alusloop „Kathena Nui“ 2000/2001 die Erde auf dieser Route in 343 Tagen umrundet hat. Und während ich mit allergrösster Mühe einen Kaffee machte, von dem ich dann den grössten Teil in einer der nächsten Wellen verschüttete, drängte sich mir unweigerlich die Frage auf: Woraus sind Männer wie Erdmann oder Blyth gemacht? Gedanken, die in der Frage endeten: Warum nur tut man sich Sowas an?   Über Van de Hede schrieb die Segelzeitschrift „Voile et Voiliers“ in einem Portrait, er sei ein Masochist – doch dies ist kaum eine brauchbare Erklärung für seinen Durchhaltewillen.

Die Segler der Jester Challenge sind keine Masochisten. Sie hofften alle auf eine mehrheitlich schöne Reise; eine möglichst lockere Regatta, bei der man gemütlich kochen und auch mal einen schönen Sonnenuntergang geniessen könnte. Doch in ihren Positions-Meldungen erwähnen die Jester-Skipper ihren Frust kaum, sondern schrieben eher von technischen Probleme. Sie berichten von leckenden Schiffen, nassen Schlafsäcken und davon, dass man mit den maximal 30 Fuss Schiffen gegen derartigen Seegang kaum vom Fleck kommt.

Natürlich: wir wussten allesamt, dass es auch mies werden konnte – nur das Verhältnis von mies zu nett, darüber machten sich wohl alle falsche Hoffnungen.

Grosses Pech hatte John Margason (63) von der „Muffin“, einer schnellen Parker 30: Sein Mast brach oberhalb der oberen Saling. Der erfahrene John – er segelte vor Jahren mit einem selbstgebauten Katamaran rund die Welt – wollte diesmal unbedingt gewinnen. Bei der Jester 2010 (von Plymouth nach Newport, USA) hatte John´s Schiff in Führung liegend in einem Sturm mehrere Materialschäden erlitten. John musste damals aufgeben, weil sein Schiff leckte und er an Unterkühlung litt, von der er sich auch nach Tagen nicht erholt hatte. Zurück in England meinte er frustriert aber erleichtert: „Immerhin bin ich noch am Leben, und ich habe mein Schiff noch“. Bei der diesjährigen Jester lag John fast die gesamte Zeit in Führung, und er erreichte die Küste von Terceira mit einem enormen Vorsprung. Doch erneut hatte er kein Glück: 60  Seemeilen vor der Ziellinie kam in einer Gewitterfront der oberste Teil seines Mastes runter. Er legte darum die letzte Strecke unter Motor zurück und sitzt nun mit einem Schiff geknickten Mast in den Azoren fest.

Schäden, wenn auch weniger drastische, erlitten auch andere Teilnehmer. Wassertanks explodierten, Niederholer brachen und Segel rissen. Ich selbst hatte Glück: Mein Schiff, eine 16 Jahre alte Etap 30i (8.93 m über Deck), die ich nur sechs Wochen vor dem Start gekauft hatte, bewährte sich recht gut. Ich hatte in der Woche vor dem Start den Mast gelegt und neue Wanten, Unterwanten und ein neues Vorstag montiert, und ich hatte die etwas windig wirkende Selden Vorsegel-Reffanlage total zerlegt und überprüft. Schachpunkt des Schiffes sind die leider ziemlich alten Segel. Ich musste oft die Segelfläche übermässig reduzieren, weil ich befürchtete, dass die Tücher den Druck nicht aushalten würden.

Hervorragend wie immer segelte Tony Head (62) mit seiner Twister „Tripple Venture“. Toni nahm schon an der Azoren-Jester von 2008 teil, und er kam 2010 bei der USA-Jester als Vierter in Newport an. Der erfahrene Toni – er hat 17 Mal den Atlantik überquert – versteht enorm viel vom Wetter und hat immer ein klares Konzept für seine Routenplanung (während ich mich eher die Wetterverhältnissen anzupassen versuche und mich am Ende meist für meine schlechten Entscheidungen verfluche).

Nur eine halbe Stunde nach mir überquerte Nick Bridges (62) mit seiner Trapper 501 die Ziellinie. Auch Nick hatte schon an der Jester Azores Challenge 2008 teilgenommen, wo er den 9. Platz belegte. Auf der damaligen Rückreise nach England, die Nick mit seinem Sohn segelte, hatte er allerdings enormes Pech: Auf halber Strecke, also rund 600 Seemeilen von England entfernt, brach sein Ruder: „Wir hatten gar nicht viel Wind, als es plötzlich einfach weg war“, erzählt Nick. Ein erster Versuch ein Notruder aus dem Spinnakerbaum und einem Stück Sperrholz herzustellen, das er sich in der Inneneinrichtung seines Schiffes „ausgeliehen“ hatte, scheiterte. Zudem verschlechterte sich kurz darauf das Wetter. Glücklicherweise wehte der Wind das Schiff in Richtung England und so schaffte er es sein Schiff gut 400 Seemeilen weit nur mit den Segeln zu steuern. „Wir hatten während mehrerer Tage so viel Wind, dass wir gar keine Segel oben hatten. Später versuchten wir das Schiff unter Sturmfock mehr oder weniger Richtung England zu balancieren.“ Als der Wind abnahm steuerten Nick und sein Sohn tagelang mit den Segeln – insgesamt über eine Distanz von 400 Seemeilen. „Es war aber eigentlich nur eine halb kontrollierte Drift“, erzählt Nick lachend. Als schliesslich der Wind nur noch relativ schwach war, gelang der Bau eines etwas verbesserten Notruders mit dem das Vater-und-Sohn-Team schliesslich die Scilly Islands erreichten. „Wir hatten Glück, dass der Wind immer von achtern kam und uns in die richtige Richtung blies. Hätte er gedreht, wären wir auf den Atlantik hinausgeweht worden und hätten Hilfe anfordern müssen  – nur schon, weil unser Trinkwasser nicht für eine Extra-Woche gereicht hätte.“

Der Australier John Apps (64) erreichte bei der diesjährigen Jester Azores Challenge nach 21 Tagen als Zehnter die Insel Terceira. Auch er ist ein alter Hase der Jester-Regatten: John bestritt bereits die Azoren-Regatta von 2008  – an der übrigens 42 Schiffe teilnahmen, von denen 28 in Terceiera ankamen (die übrigen gaben auf und liefen Häfen in England, Irland, Frankreich oder Spanien an). John nahm aber auch an beiden Jester-Regatten nach Amerika in 2006 und 2010 teil. Im Jahr 2006 hatte er bereits übe die Hälfte der Strecke nach Newport geschafft, als er wegen Defekten umkehren musste. Doch der ehemalige Captain der australischen Armee und Vietnamkrieg-Veteran ist nicht einer, der schnell aufgibt. Und so startete er im Sommer 2007 erneut (bei der Jester gibt es keine Zeitlimits). John erreichte Newport schliesslich 410 Tage nach dem ersten Start (49 Tage nach seinem zweiten Start). Sein Rekord für die längste Jester-Zeit wurde aber im Jahr 2011 von Gui Waites überboten. Gui, der eine Contessa 26 segelte, hatte in der GB-USA-Jester von 2010 aufgeben müssen und war ebenfalls im Jahr darauf erneut gestartet, worauf er 425 Tage nach dem ersten Start in Newport eintraf. Sowohl Gui als auch John Apps – wie übrigens die meisten Jester-Teilnehmer – segelten ihre Schiffe auch wieder einhand zurück nach England. Wobei John Apps bei der Rückfahrt 2007 sein Steuerbord Unterwant brach. Er wendete sofort und so blieb sein Mast stehen. „Nun gut, sagte ich mir, der Mast steht noch und ich kann sogar mehr oder weniger in Richtung Osten segeln. Doch was ist wenn ich wenden muss?“ John hatte Glück: Der Wind dreht zu seinen Gunsten, und er blieb für den Rest der Reise günstig. „Es war wohl der Längste Steuerbordschlag in der Geschichte der Seefahrt“, lacht John, „ich segelte tatsächlich 2‘400 Seemeilen auf Steuerbord-Bug bis nach England, alles mit dem gebrochenen Unterwant. Hätte ich wenden oder Halsen müssen, wäre der Mast über Bord gegangen.“

Der Charme der Jester-Regatten liegt hauptsächlich darin, dass die Segler echte Amateure und ihre Schiffe ganz normale, meist alte Segelschiffe sind. Die Regatta ist damit für jeden Segler erreichbar, der ein Schiff zwischen 20 und 30 Fuss Länge besitzt. Um bei der Jester teilzunehmen muss man also weder eine Rennyacht besitzen, noch man muss ein unendlich harter Profisegler sein. Bei diesen Regatten gibt es keine  Startgebühr und keine Preise. Es gibt keine Sicherheits-Checks und keine Regeln. Eigentlich ist es nur eine lockere Abmachung zwischen ein paar Seglern: Wir starten um 12 Uhr beim Wellenbrecher in Plymouth und versuchen möglichst schnell in Terceira oder eben in Newport zu sein. Und obwohl die Jester Challenge eine Regatta ist, wollen die meisten Teilnehmer nicht um jeden Preis gewinnen, sondern sind schon zufrieden wenn sie sicher am Ziel ankommen. Wir sitzen also nicht Tag und Nacht im Cockpit und prügeln das Schiff voran, sondern verziehen uns vorzugsweise mit einem Buch in die Koje und lassen die Windfahnensteuerung die Arbeit machen. Natürlich versucht man, so gut wie möglich voran zu kommen; denn wer will schon als Letzter einlaufen? Doch es ist ein grosser Unterschied zwischen einen knallharten Segler, der täglich 19 bis 20 Stunden im Cockpit verbringt und einem, der versucht anständig voranzukommen, während er im Salon sitzt und liest. Ich lag bei der diesjährigen Jester alles in allem annähernd zehn der 16 Tage auf dem „Sofa“ oder sass verkeilt in einer Ecke des Salons mit einem Buch in der Hand. Ein Schiff vorantreiben, wie dies die richtigen Regatta-Segler, beispielsweise bei der Route de Rhum oder der unendlich harten Mini-Transat tun, würde ich nie aushalten. Ich empfand die  Jester Challenge 2012 auch so als unangenehm hart und schwierig. Die Fahrt war für mich in jedem Falle weit ausserhalb jener Bandbreite, in der ich Segeln noch als lustig empfinde.

PS. Vier der ersten zehn Schiffe in der Jester Challenge 2012 hatten eine Windpilot am Heck.

PPS. Am Sonntag, (17.06.12) lief als elfter Segler Andy Lane (62)  mit seiner „Bula“, einem 35 Jahre alten Quartertonner (7,5 m ü.D.), in Terceira ein. Auch Andys Geschichte bei den Jester-Fahrten ist ziemlich dramatisch. An der Regatta von 2010 (nach Newport / USA) war Andy mit „Amadeus“,  einem alten Minitransat-Schiff gestartet. Ziemlich genau 50 Seemeilen entfernt von der Stelle, an der die Titanic liegt, verlor Andy, an zweiter Stelle liegend, den Mast. Dieser riss nicht nur ein Loch ins Deck, sondern knackte auch die Schale des 6,50 m langen Schiffes, sodass Andy schliesslich sein Epirb  auslöste. Er wurde bei Winden in Sturmstärke von einem Frachter von seinem sinkenden Schiff geborgen.

Die Schiffe erreichten Praia da Vitoria auf der Insel Terceira in dieser Reihenfolge:

John Margason (63) in “Muffin” (Parker 30)
Roger Fitzgerald (75) in “Ella Trout II” (Dehler 29)
Tony Head (67) in „Triple Venture“(Twister)
Paul Mead (50) in “Independence 2” (SparkmanStephens / She 31b)
Denis Gorman (51) in “Lizzie-G” (Albin Vega 27)
Thomas Jucker (59) in „Marta“ (Etap 30i)
Nick Bridges (62) in „Dolphin“ (Trapper 500)
Howard Chivers (62) in „Sandpiper“ (Sadler 29)
James Stock (64) in “Fly” (Twister)
John Apps (64) in „Glayva“ (UFO 27)
Andy Lane () in „Bula“ (Robber 3e)

Noch nicht in Terceira eingetroffen ist der Pole Edward Zajac in „Holly“ (er hatten einen Reparatur-Stopp im spanischen La Corunia einlegen müssen) sowie David Knowler mit seiner Headway III (er lief mit Defekten die Azoren-Insel San Miguel an). Die übrigen Teilnehmer unter ihnen Segler aus England, Frankreich, Kenia und Belgien haben das Rennen aufgegeben und sind nach England zurückgekehrt.

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Eine Antwort zu Jester Azores Challenge 2012

  1. Günter Marth sagt:

    Die Crew der „Bali Hai“ (Singen) ist auf der Suche nach Thomas Jucker (ex „Tamango“) , Greifensee/ Schweiz. Wir meinen, ihn auf dem Foto erkannt zu haben. Es wäre furchtbar schön, Dich wieder zu treffen.

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