Annette Knipp+Wilfried Schmidt, SV Senta GER

OLYMPUS DIGITAL CAMERAGEHT DIE SONNE AUF IM WESTEN
MUSST DU DEINEN KOMPASS TESTEN

Im August segelte ich solo, von den Bahamas kommend, die US-Ostküste Richtung Chesapeake Bay hoch. Der Wetterbericht sagte für diese Zeit leichte Winde aus wechselnden Richtungen voraus, viel Sonne und ab Mittag stellenweise Gewitter mit Regen und Starkwind. Zum Abend sollte der Spuk vorbei und die Nacht meist klar sein. Ich konnte stundenlang in der Plicht liegen und Sterne gucken. Das Normale Wetter für diese Jahreszeit. Weit und breit kein Hurrikan in Sicht. Um möglichst zügig vorwärts zu kommen, habe ich mich in den Golfstrom „ gesetzt“, der stellenweise mit bis zu vier Knoten Richtung N/ NO schiebt. Da der Wind nie mit mehr als 10 bis 12 Knoten blies, außer in den Squalls, konnte sich auch bei nördlichen Winden keine unangenehme See aufbauen. Wind gegen Strom. Das war auch am Tag vor meinem Geburtstag so.

BrooklynbridgeNach dem Regen- und Gewitterspektakel war es schnell wieder ruhig und ich konnte meine Essenswünsche an dden Koch durchgeben: mich selbst. Spagetti mit Soße – Seglers haute cuisine. Nach dem Spülen dann ein Glas Wein und nach dem die Sonnenuntergegang stand Kino auf dem Programm. Die Schatzinsel. Wie ich schon sagte, es war der Tag vor meinem Geburtstag und da sollte der kleine Junge in mir etwas spannende Träume haben. Der Kindle funzt im Dunkeln tadellos – natürlich zwischendurch, auf weichen Kissen liegend, Sterne gucken. Alles zusammen also eine anstrengende Nacht, die erst durch Morgensonne beendet wurde, weil auch der Wecker schlafen durfte – ich hatte schlicht vergessen ihn scharf zu schalten. Zum Glück ist das an diesem Seegebiet kein Problem, weil die Küstengewässer vor reichen Ländern des nachts leergefegt und Hobbyfischer oder Touristen an Land in weichen Federn liegen – ganz anders als in ärmeren Gegenden, z. B. Südamerika oder der Karibik. Dort ist nachts in Küstennähe mit Fischerbooten rechnen. Und Seglerkollegen sind im Golfstrom meist in derselben Richtung unterwegs und da kann höchstens zu einer Rempelei anstatt eines Frontalzusammenstoßes kommen. Die Berufsfahrt fährt schlafend von AIS bewacht und weckt mich auf, weil mein AIS Empänger klingelt, wenn ein großer Bruder mir zu nahe kommt. Hier sollte ich einfügen dass die Berufsschiffahrt im Verlauf meiner Reisen durch Mittelmeer, Südamerika, Karibik und Nordamerika stets höflich aus dem Wege gegangen sind – sie fuhren immer im großen Bogen um mich rum.

Es war also früher Morgen, die Orientierung war noch nicht erwacht, der Geist noch nicht im Tages Modus – immerhin: irgendwas war anders als normal. Ich brauchte eine Weile, bis begriff, dass die Sonne im Westen stand. Mir fiel der Spruch vom Anfang ein. So was gibt es nicht. Der Spruch ist natürlich Blödsinn. Also noch mal: Ich habe gestern Abend nur ein Glas getrunken, mir war weder schlecht noch komisch. Also am Wein lag es nicht. Vorwärts- und Rückwärtszählen funktionierte tadellos, also auch kein Dachschaden. Dann habe das Problem noch mal von der logischen Seite beleuchtet: Auf der Fahrt nach Norden geht, wenn man auf der Backbordbank liegt, die Sonne an Steuerbord auf, egal ob man auf dem Rücken oder dem Bauch liegt. Das bleibt auch so, wenn man auf der Steuerbordseite liegt. Aber an diesem Morgen ging sie an Backbord auf. Ein Blick auf den GPS Plotter zeigte mir den Pfeil und die Kursrichtung Nord mit einem Knoten Fahrt! Die Richtung stimmt, aber 1 kn Fahrt ist natürlich lächerlich, zumal das Geräusch des Wassers am Rumpf und auch das Log mir etwas anderes erzählten: drei Knoten. Also zwei Knoten Strom dagegen. Wo die herkamen, war unwichtig. Oder hatte sich jetzt, wo ich ein Jahr älter geworden bin, etwas schlagartig verändert?

Jetzt aber schnell nach HauseEgal, wir hatten ein Problem. Bevor ich das lösen konnte, brauchte ich einen Kaffee.
Es gibt Momente im Leben wo du denkst, dass sich alles gegen dich verschworen hat. Nicht genug, dass die Sonne im Westen aufgeht, jetzt spinnt auch noch der Kompass. Das Ding zeigte Süd Kurs. Auch der Steuerkompass des elektrischen Autopiloten zeigte 189 Grad an. Egal, erst mal einen Kaffee. Trotzdem rumorte es in meinem Kopf- was ist das?

Da fiel es mir auf einmal wie Schuppen aus den Haaren – die Erleuchtung folgte gnadenlos.

Gegen Morgen hatte der Wind um 180 Grad gedreht. Der Windpilot hat das getan, was er am besten kann, er ist dem Wind gefolgt. Alles schön leise kam der Wind stets von derselben Seite, hat die Segel ruhig stehen lassen und alle Geräusche vermieden. Ganz schön dezent und rücksichtsvoll … so ein Windpilot, hat sogar seinen Skipper schlafen lassen.

Und so kam es, dass die Sonne am nächsten Morgen im Westen aufging.

Des Rätsels Lösung: Wenn der Golfstrom mit 4 Knoten Richtung Norden setzt, das Schiff mit 3 Knoten nach Süden segelt, bleibt noch ein schlapper Knoten übrig, den bin ich im Rückwärtsgang nach Norden gesegelt bin.

Ich habe meinen Geburtstagskaffee im Rückwärtsgang in Ruhe genossen und danach dann den Kurs geändert, um fortan mit sieben Knoten auf dem GPS und der Sonne wieder von Osten, weiterzurauschen. Die Welt war wieder in Ordnung, es war alles war, da wo es hin gehörte, Deltaville in Virginia war mein nächster Hafen, weitere Irritationen hat es nicht gegeben.

Viele Grüße von Wilfried, SV SENTA

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