Vassilingalou – Auf der Flucht

ODER HUNDELEBEN IM PARADIES

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Auf der Straße liegt ein Schein. Ein Zehner, etwas zerknittert. Angelique bückt sich flink als erste und holt ihn entschlossen aus seiner selbständigen Wanderung zurück. Auf ihrem Gesicht tanzt ein geheimnisvolles Lächeln. Sie kneift uns ein Gewinner-Auge zu. Wir sind unbeschwert, obwohl alle immer knapp bei Kasse sind. Sehr knapp. Laufen den staubigen Pfad entlang und kichern ab und zu über Sachen, die sonst sehr ernst sind. Haben eine kleine Machete dabei und etwas Trinkwasser auch. Der taube Hund von Angelique watschelt von Busch zu Busch und liest die Hundezeitung. Da er von Geburt an taub ist, hat er auch keinen richtigen Namen. Er, es ist eine Sie, heißt „Hund“. Auf Französisch. Für Angelique und Cédric ist dies die Muttersprache. Für uns – ein erstrebtes, aber nicht erreichtes Geschick. Zurück bei den Booten teilen wir die Beute – einige Kokosnüsse. Cédric ist glücklich. Er hat am Strand einen angeschwommenen Fender gefunden. Angelique greift in die Tasche und gibt uns fünf Münzen. „Euer Anteil“, meint sie mit dem verschmitzten Lächeln von vorhin.

Ab und zu essen wir zusammen zu Abend. Angelique kocht leidenschaftlich gern. Spindeldürr wie sie ist, schmeckt es ihr selbst offensichtlich nicht besser als uns, aber es gibt immer ausreichend für alle Piratenmäuler und wir loben lautstark. Mit vollen Bäuchen sitzen wir dann noch eine Weile zusammen und spielen Würfel. Cédric ist darin sehr gut. Er hat eine geheime Technik immer Sechser zu würfeln und kann einfach nicht widerstehen. Er schummelt andauernd. Wenn das bloß Gewinn bringen könnte.

Dafür finde ich immer einen Anlass, mir einen weiteren Rumpunsch zu mixen und werde gesprächiger. Nur Inga ist perfekt. Meine Augen umarmen sie innig.

Mit Angelique und Cédric sind wir befreundet. Sie sind jung und bringen eine seltene Bereitschaft an den Tag, das Leben nicht zu ernst zu nehmen. Vor allen Dingen sich selbst nicht. Die Zeit mit ihnen ist leicht wie die Zitronenfalter über den Eifler Sommerwiesen.

„Bringt mich nach Panama!“ Und nach kurzer Pause: „Ich bezahle euch,…gut!“, sagt Ritchie leise, als wir ihn auf der Uferstraße treffen. Seine Augen hinter der Brille sind winzig und eilen wie dunkle Fischchen in einem runden Aquarium, ständig auf der Suche nach dem Ausgang. Das Angebot hat er bereits Monate zuvor Cédric und Angelique gemacht, aber sie haben gezögert, so wiege ich meine Antwort vorsichtig ab. Was wissen wir über ihn? Darf er wissen, dass wir wissen?
„Ihr segelt doch nach Panama, oder?“ Das erbärmliche Hündchen auf seinem Arm, die schwere goldene Kette, die gefärbten Locken an den Schläfen, alles wartet gespannt auf die Antwort. „Was meinst du mit ‚gut‘, Ritchie?“, weiche ich ungeschickt aus. „Gutes Geld für nichts, das meine ich. Wie klingen zehntausend, mh? Ihr segelt doch sowieso dahin!“ „Unser Boot ist zu klein, Ritchie“, versucht Inga einen ehrlichen Rückzug.

„Wir überlegen es uns und sagen dir Bescheid“, schließe ich mit einer durchsichtigen Lüge ab und wir verabschieden uns hastig.

Zwei Tage, nachdem wir Angelique und Cédric über Ritchies Angebot an uns erzählt haben, sind zwischen den dreien alle Einzelheiten schon abgesprochen und ein gemeinsamer Abreisetermin gesetzt. In einer Woche. Am Dienstag soll es sein. Gleich nachdem er bei der Polizei seine Unterschrift gelassen hat. Dann wird bis Freitag keiner nach ihm fragen und danach kommt ein langes Wochenende, wegen der Regatta am Montag. In der Zeit werden sie schon auf Guadeloupe sein und bald aus dem Wasser, um das Schiff auf Vordermann zu bringen. Und ehe man sich versehen hat, sind sie schon in der Dominikanischen Republik. Danach ist es nur noch ein Kinderspiel, sagen sie.

Wir staunen.

Cédric und ich basteln bis zum letzten Augenblick an ihrem Lebekahn rum, damit sie überhaupt auslaufen können. Alles klappt und wird die Reise durchhalten. Sie fahren los, und der Ankerplatz ist öde und leer.

Was wir wussten…:
Ein weißer Mann geht mit seinem Hündchen Gassi. Das Hündchen scheint nur ihm sympathisch zu sein, jedenfalls ist es bissig, nervös und schlecht erzogen. Es versucht seine Zähnchen an einem dunklen einheimischen Bein. Das Bein schnellt zurück, das Hündchen quiekt enttäuscht und trippelt mit eingezogenem Schwänzchen nach Hause. Der weiße Mann wartet auf die Dämmerung und geht die Gassi-Strecke nochmals zurück. Jetzt ist er allein. In seiner Tasche, um seine Faust geschmiegt, ein Schlagring. Der Eigner des gebissenen Beines wacht eine Woche später im Krankenhaus auf. Er muss durch einen Strohhalm ernährt werden. Der weiße Hündchen-Mann wird dafür büßen müssen. In Ketten, wie die Vorfahren des gebissenen und geschlagenen Mannes, wird er nicht gelegt, aber im Bau wird er unter den dunkelhäutigen Halunken auch auf andere Weise das Bereuen erlernen müssen. Während noch Untersuchungen laufen, darf er seinen Fifi spazieren führen und nachdenken. Er denkt nach und verkauft alles, was er besessen hat: Wohnung, Boot, Auto, Seele.

Jetzt reist er erste Klasse nach Panama. Unsere Freunde sind wegen seinem Geld auf der Flucht.

Curacao, 26.09.2015

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