Capt. Peter Hahne – MSC La Spezia

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WENN DIE WELTEN AUFEINANDERTREFFEN
Sicher kennen Sie das: Da segeln Sie munter und unbeschwert auf freier See, alleine mit sich und Ihrer Crew, Ihrem Schiff und der wunderbaren maritimen Natur, und ploetzlich taucht an der Kimm ein grosses Motorschiff auf. Sie beobachten, wie es sich naehert, und stellen fest: Die Peilung steht.
Sie sind fuer Ihre Verhaeltnisse flott, vielleicht mit sechs Knoten unterwegs, und der andere kommt schnell auf.

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Bei aller Gelassenheit wird Ihnen nun doch mulmig: Wie war das noch mit den KVR, den Internationalen Regeln zur Verhuetung von Kollisionen auf See?

Sie machen alles richtig: Sie gehen Ausguck, wie es die Regel 5 vorschreibt, sie fahren mit sicherer Geschwindigkeit nach Regel 6, sie gehen nach Regel 7 davon aus, dass Kollisionsgefahr besteht, weil die Peilung steht, und sie wissen, dass Ihnen der Gegner als Maschinenfahrzeug nach den Regeln 18 und 16 ausweichen muss, waehrend Sie entsprechend Regel 17 der Kurshalter sind.

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Soweit so gut, aber kennt der andere die Regeln auch? Was, wenn die Bruecke dort oben gar nicht besetzt ist? Wenn das Schiff unter Autopilot laeuft, waehrend sich der wachhabende Offizier ein Nickerchen goennt? Was koennen Sie tun, und wann muessen Sie es tun?

Zunaechst einmal kann ich Sie beruhigen. Die Bruecke eines seegehenden Berufsschiffes ist grundsaetzlich besetzt. Es ist dort am Tage zumindest ein wachhabender Offizier vor Ort, der mit der gebotenen Umsicht und Sorgfalt den Seeraum beobachtet. Dies geschieht sowohl optisch als auch per Radar. Zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang sowie in dichterem Verkehr ist zusaetzlich mindestens ein Matrose zur Stelle, der als Ausguck fungiert. Ausnahmen von diesen Regeln sind extrem selten, und wenn Sie die Untersuchungsberichte von See-Kollisonen studieren, werden Sie feststellen, dass so gut wie nie eine unbesetzte Bruecke ursaechlich war.

Aber wird der Andere Sie rechtzeitig erkennen?

Ja, auch das wird er in aller Regel. Bei guter Sicht und leicht oder maessig bewegter See sind Sie von der Bruecke eines Seeschiffes tagsueber spaetestens auf zehn Meilen Distanz optisch klar auszumachen. Moderne professionelle Radargeraete sind empfindlich, und Filter fuer Seegangs- und Regenenttruebung lassen sich mit einiger Erfahrung so fein justieren, dass selbst der duenne Alumast eines Segelbootes auf etwa vier Meilen Distanz ein erkennbares Echo gibt.

Sie koennen und sollten Ihre Sichtbarkeit auf Radargeraeten erhoehen, indem Sie einen moeglichst grossen Radarreflektor im Mast fahren. Vergessen Sie die schicken kleinen Reflektorschlaeuche, denn die sind wenig effektiv. Noch besser als ein Reflektor ist ein aktiver Radartransponder, der ein Signal aussendet, sobald er von einem fremden Radarsignal getroffen wird – so etwas ist allerdings nicht ganz billig.

Besonders nachts ist ein guter Radarreflektor wichtig: Haben Sie an Bord Ihre Positionslichter in Deckshoehe – am Bugkorb und am Heck – angebracht, sind diese Lichter in der Dunkelheit schon bei maessigem Seegang nur sehr schwer auszumachen. Wenn Sie eine “Dreieinigkeit” am Masttopp fahren, sind Sie zwar besser zu erkennen. Der Wachhabende auf der Bruecke eines Seeschiffes wird aber die Entfernung zu Ihrem Boot womoeglich falsch beurteilen: Er beobachtet Ihre Positionslichter in relativ grosser Hoehe ueber der Wasseroberflaeche und schaetzt die Distanz zu Ihrem Boot groesser ein, als sie tatsaechlich ist.

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Grundsaetzlich koennen Sie davon ausgehen, dass Ihnen ein Seeschiff den Regeln entsprechend Raum gibt. Ein modernes schnelles Containerschiff wird den Kurs aber vielleicht erst auf nur zwei Meilen Distanz aendern. Das entspricht zugebenermassen nicht unbeding den Geboten guter Seemannschaft, genuegt indes voellig, denn diese Schiffe haben sehr gute Manoevriereigenschaften. Fuer Sie sieht es aber womoeglich erschreckend aus, wenn Sie schon das Weisse im Auge des Gegners zu erkennen glauben, waehrend der noch achtkant auf Sie zu kariolt.

Deswegen gilt grundsaetzlich: Reagieren Sie fruehzeitig und vermeiden Sie eine Nahbereichssituation mit einem grossen Berufsschiff, bevor die Regeln 16, 17 und 18 der KVR ueberhaupt erst greifen. Im offenen Seeraum sollte dies ueberhaupt kein Problem fuer Sie sein.

Auf See, 14.02.2015
Capt.  Peter Hahne
MSC La Spezia

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