Vassilingalou – Vinod – St.Maarten

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CARRIBEAN CAMERA CENTER – NUR DAS BESTE FÜR DEN KUNDEN
Am frühen Morgen steigen wir in den Bus und fahren, gequetscht zwischen freundlichen, frisch in bunte Leggins gepressten Mamasitas nach Philippsburg. Große Aufregung herrscht in unseren Herzen. St. Martin sei eine phantastische Insel, hat man uns erzählt, und zollfrei sei sie auch. Dieses Zeugnis für die Beliebtheit des Zolls ist ein schlagendes Argument. Nicht nur für Handel und Steuersünder, auch für uns einfache Brüderchen, die einen jeden Silberling zehn mal wenden, bevor sie ihn aus den Fingern gleiten lassen. Sei es auch nur zurück in die eigene Tasche. Also, bewaffnet mit der Zuversicht von Kosmonauten, der endlosen Liebe für einander und der Entschlossenheit ein Vermögen von dreihundert Euro auszugeben, fahren wir zum besagten Paradies. Fünfzehn Kasinos gibt es dort, aus den Hähnen fließt Honig und Butter, eine geile Insel ist das!

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Die letzte Kurve vor der Stadt öffnet den Blick auf einen riesigen Berg Müll. Hier und da rauchend, eine ganze Lagune bequem ausgefüllt, beschäftigt der Berg viele winzige Menschen. Ihre Matchbox Maschinchen fahren hoch und runter, glätten liebevoll den Berg, pflegen ihn und geben ihm eine Vulkankegel Form. Den zwei Regierungen liegt sehr viel dran, dass auch diese Insel einen Vulkan hat. Drei der größten Passagierschiffe der Welt liegen auf der Reede von Philippsburg, der Flughafen wird im Minutentakt von den schwersten Maschinen angeflogen.

Ein buntes Gedränge empfängt uns. Aus jedem Laden tönt lautstark Musik und Gesichter aller Rassen tanzen im Blickfeld. In gehobener Stimmung, wie Heliumballons auf einer Kirmes.

Der Laden ist geräumig und die vielen Firmenlogos und Werbeposter versprechen Traumhaftes. Hinter den drei polierten Tresen – drei makellose Verkäufer. Wir richten uns an den, der gerade nicht angibt beschäftigt zu sein. Schlank und elegant, mit langen, teils beringten Fingern und samt-olivbrauner Haut. Gold gerahmte Brille über seidenem Hemd, das jede Bewegung geheimnisvoll umhüllt, steht er uns zur Verfügung. Er erkennt schnell, dass wir nicht das Geld ausgeben wollen, um das zu kaufen, was man „die erste Wahl“ nennt. So stehen wir ihm zur Verfügung, und er bringt eine hervorragende Präsentation diverser Geräte, die preis-orientiert gekauft werden. Die Spitzen seiner Finger berühren die Kameras wie Musikinstrumente. Seine Worte fließen kompetent, schnell und zielgenau wie die Schläge eines erfahrenen Boxers. Sein Atem ist so Zigaretten-schwer, dass man das Nachfragen lieber lässt.

Binnen kürzester Zeit verkauft er uns eine schicke, aber unauffällige, semiprofessionelle Kamera, die nur so nach Motiven unserer zukünftigen Reise lechzt. Der Preis sei kein Problem, meint er, und wir glauben es, denn er kommt bereitwillig auf uns zu. Für einen sehr geringen Aufschlag bekommen wir eine Ersatzbatterie und ein Ladegerät. Ah, und eine Speicherkarte besonderer Güte. Da ich die Verhandlung führe, lebt Tarzan in mir auf, und die Begeisterung in den Augen meiner Jane verleiht mir Flügel. Ich bin stolz wie ein Storch.

An der kilometerlangen Uferpromenade findet sich eine Holzbank für uns. Im windigen Schatten genießen wir ein kleines, kühles Bier, während Inga verschiedene Einstellungen der neuen Kamera ausprobiert und die ersten Fotos seit Monaten schießt. Wir sind unermesslich glücklich miteinander, laufen noch eine Weile ziellos durch die bunte Gegend und fahren mit dem Bus zu unsrem kleinen schwimmenden Paradies zurück.
Am Abend beglückwünschen wir uns zur erfolgreichen Jagd, laden die Batterie voll und erklären das gelegentliche Verlangen nach einem Neustart seitens des Photoapparats, mit seinem Wunsch sich an uns anzupassen.

Am Morgen darauf hat er sich noch nicht genug angepasst und verlangt sofort nach jedem Start einen neuen. Da Er hartnäckig nichts anderes machen will, sitzen wir im Handumdrehen im Bus nach Philippsburg. Um neun Uhr betreten wir das Carribean Camera Center und legen die eigenwillige Kamera auf den Tresen. Um halb eins verlassen wir den Laden . Ingas Augen rot vom Weinen, ich, Tarzan hin, Storch her, benebelt wie nach einem unsinnigen Alptraum, mit dem kaputten Apparat in der Hand.
Einerlei wie ich dreieinhalb Stunden argumentiert habe, hieß es:

„Sir, ich habe Ihnen gestern eine funktionierende Kamera verkauft. Sie ist bei Ihnen kaputt gegangen. Sie hat eine Verstellung der Linse. So was kann passieren. Sie, oder Ihre Frau, müssen die Kamera nur etwas unvorsichtiger abgestellt haben, das reicht. Es gibt keine Spuren von einem Schlag? Es erscheint keine Fehlermeldung? Das bedeutet nichts, es ist eine Verstellung der Linse. Leider können wir den Apparat nur einschicken und das dauert drei bis vier Monate, denn die Vertretung von Sony sitzt in Miami. Die Kosten dafür werden Sie tragen müssen, ich kann Ihnen nur beim Einschicken assistieren. Wenn der Hersteller die Schäden als Garantiefall ansieht, kriegen Sie einen Ersatz, sonst müssen Sie die Reparaturkosten tragen. Ich würde Sie gern an meinen Boss weiterleiten, aber er sitzt leider auch in Miami. Ich habe alles für Sie getan, Sir, aber jetzt ist meine Geduld auch am Ende und ich werde Ihnen auch nicht beim Einschicken helfen. Machen Sie was immer Sie wollen mit Ihrer Kamera, ich wollte Ihnen helfen, Sie wollen sich nicht helfen lassen. Hören Sie Sir, wenn Sie ein ehrlicher Mensch sind, würden Sie nach St. Martin zurück kommen, wenn Sie von Sony gehört haben. Sie würden, wenn Sie ein ehrlicher Mensch sind, zu mir kommen und sagen: Vinod, es war eine Verstellung der Linse!“

Rational denken können wir lange nicht. Schleppen uns irgendeine Straße entlang und schweigen. Es ist klar, Fotos von der Reise wird es nicht geben! Zwei besonders kräftig gebaute Ordnungshüterinnen kommen uns entgegen. Sie sind nicht von der Polizei, aber die sei nicht weit – da, hinter der zweiten Straßenecke. Meine Gedanken waren schon beim Beschwerdezentrum des Sonnensystems, aber die Polizei wird es auch tun. Schon sind wir da, legen die Quittung vor, übergeben den unglücklichen Apparat, der nicht genug Neustarts bekommen kann, erklären die Lage aus unserer Sicht. Die Beamtin hinter der Theke ist so mächtig, dass ich bezweifele, dass während ihrer Schicht noch irgendein Polizist arbeiten muss. Die Nähte ihrer Uniform arbeiten dagegen sehr hart. Dennoch schafft Sie es nicht Vinod zu überzeugen, dass er die Kamera gefälligst sofort umzutauschen hat. Das Telefongespräch dauert immerhin eine viertel Stunde und als Resultat wechselt die Gesichtsfarbe der Beamtin von dunkelbraun in auberginenlila. Inga und ich werden unverzüglich mit einem Dienst Caddy, samt zwei durchtrainierten, uniformierten Athleten an Bord, wieder zurück zum CCC gefahren. Vinods Widerstand dauert nicht lange, obwohl er es tapfer versucht. Sein Hemd ist nicht mehr so sauber und faltenfrei. Zehn Minuten später steht der Oberboss an der Tür und bietet uns an, die Kamera beim Sony Kundendienst im benachbarten Industriegebiet bis morgen checken zu lassen…

Es ist siebzehn Uhr. Wir haben etwas dazu bezahlt, aber Ingas Arbeiten und die Reisefotos werden ab sofort mit einer Canon gemacht. Unsere erste Wahl von Anfang an. Die Kamera ist klein und unauffällig, lässt aber sämtliche Einstellungen von Hand machen und ist das Nachfolgemodell von Ingas treuem alten.

„Vinod, das heute, das hättest Du uns allen sparen können!“ – sage ich zum Abschied. In seinen Obsidian-Augen sehe ich neben unermesslicher Müdigkeit, eine gerechte Antwort:
„Sir, Sie hätten es uns schon gestern sparen können.“

30.01.2015, Martinique

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