BLATTMACHER + LIVEABOARD – LEBENSLANG
Abgesehen von dem Gefühl völliger Freiheit, besitzt das Leben an Bord eines Schiffes den besonderen Reiz, dass man im Ernstfall jederzeit das Weite suchen kann. Es muss ja nicht gleich der Einmarsch fremder Mächte sein, es genügten schon kriegerische Konflikte im Paarbetrieb, die als gordischer Knoten die Atemluft unter Deck verdickten, die – zumindest in der Theorie! – so wunderbar unkompliziert zu lösen sind, indem man einfach die Leinen kappt. Das Erwachen als Einhandsegler allerdings, ist auch nicht immer nett, plötzlich so ganz allein im Bett. Kurz: neue Konflikte ohne Ende, manchmal sogar eine Dead End Road. Immerhin: Träumen sollte erlaubt sein, wollen wir sie fliegen lassen? Wir könnten dann ein paar Gedanken darüber verlieren, was Hamburg als Tor zur Welt von Seglern hält, deren schwimmendes Dach im heimischen Biotop angebunden ist.
Nun gehört Deutschland nicht zu den Nationen, in denen man sich über Umweltbelastungen von Liveaboards Gedanken machen müsste, weil diese Spezies hier, ähnlich wie Blauer Enzian, kaum vorhanden ist. Gleichwohl spielen sie offenbar in Amtsstuben eine gewichtige Rolle, vielleicht weil damit gedanklich Zeit tot zu schlagen ist? Mir kommt sofort ein Bild vor Augen, wie eifrige Biopolizisten beim herbstlichen Aufslippen in Wedel akribisch – oder manchmal heimlich? – Farbpartikel von Westentaschen Kreuzern kratzen und in Plastiktüte zur Analyse transportieren, derweil draußen auf der Elbe Container Riesen unter Wasser tropenfestes Bottom Paint, einen Giftschleier hinterlassend, im Stundentakt dem offenen Ozean entgegen dampfen, wobei der Horizont durch dezent graue Ablüfte leicht verdunkelt wird. Vermutlich sind das Sünden eines Politikbetriebs, der vom durchgegangenen Amtsschimmel rechts überholt worden ist.
Hamburg als Tor zur Welt, diesen Schnack hat man sich vermutlich im Rathaus ausgedacht, aber in Bezug auf das Wohnen auf dem Wasser hatte man dort wohl eher Amsterdam im Kopf, derweil in Hamburg unverdrossen selbst harten Wintern trotzenden Seglern, erstaunliche Liegeplatz Monatsmieten – gibt es keinen Mietendeckel? – abverlangt werden, selbst wenn sie eingefroren, oder wild im Schwell ihre Fender und Leinen springen lassen.
Einsamer Held und mir seit Jahren unvergesslich, der segelnde Pantomime und begnadete Alleinunterhalter Mick, dessen Kohleofen monatelang unter Deck den Winter der SY Papalagi bullernd gemütlich macht, jedenfalls solange der Skipper unermüdlich Briketts mit dem Tretroller zum Schiff heran transportiert.
Noch seltener als bewohnte Yachten, sind bei uns jene stählernen Traditionsschiffe, mit oder mit ohne Segel und Seitenschwertern, wie sie außerhalb des deutscher Landesgrenzen zu tausenden als stimmungsvolle Zuhause für Familien dienen, die je nach Lust und Laune ihre Location wechseln können, falls ein neuer Arbeitgeber, eine neue Herzens Flamme, oder ein Wechsel des Hafenpanorama´s den Ortswechsel erforderlich erscheinen lassen. Eine Lebensform, die in Deutschland ebenso zuverlässig wie eben auch gründlich, rundum geregelt ist, vermutlich, um etwaige Intentionen – oder gar Träumer? – bereits im Vorfeld zu verbrämen?
Jedenfalls haben bei uns politische Landschaftspfleger ganze Arbeit geleistet, obwohl – Ironie der Geschichte – Briefkästen an Schiffen ansonsten postalisch als Zustelladresse akzeptiert sind. Oder haben Post und Bürokratie – gibt es da eigentlich Unterschiede? – hier nicht ausreichend telefoniert, sympathisiert, Verträglichkeitsanalysen paraphiert, bzw. kooperiert? Im Ergebnis jedenfalls, taugt Wohnen auf dem Wasser aus Verwaltungsperspektive offenbar nur zum Lokalkolorit – Stichwort Touristen Selfie – wird nur sporadisch erlaubt bzw. abgestempelt und ist folglich nur in homöopathischen Dosen aufzufinden. Mancherorts werden sie gar zu regelmäßigen Ausfahrten gegen EU Donationen dienstverpflichtet, damit das Landvolk an der Wasserkante sehen kann, wie langsam Oma und Opa damals ausgewandert sind. Für mich ein Trauerspiel für eine Stadt, die mehr Brücken als Venedig hat! Aber ich bekenne: das ist Politik, die nur versteht, wer bereit und willig akzeptiert, dass sie unser aller Bestes will.
Der langen Einleitung kurzer Sinn, diese Geschichte wird aufgeschrieben, um einen Mann einzukreisen, auf ihn zu verweisen, der eine besondere Affinität zum Wasser hat, das er besegelt, belebt und darüber schreibend, zu seinem Lebensinhalt gemacht hat. Das Wohnen auf dem Wasser wurde von Detlef Jens zwar nicht „erfunden“, doch er hat seit Jahrzehnten das Leben an Bord für sich auserkoren, durchlebt, durchlitten und verinnerlicht. Ein Mann, der vielen Lesern hier sicherlich ein deja vu, weil sie vermutlich bereits von ihm gelesen haben, da er zum schreibenden Establishment gehört.
Für Detlef-Unkundige hier die Kurzlegende: Detlef hat in wasserhaltigen Redaktionen in Deutschland und England erheblich DNA hinterlassen, seine Visionen haben 1986 zur Konzeption von „Boot & Charter“ geführt. Im Jahre 2004 folgte das Magazin „Segel Journal“, dessen Chefredakteur er später, bis 2011, war. Segel- und Reiseberichte aus den 1980er und 1990er Jahren sind bei Geo, Stern und Zeit nachzulesen. Während seiner mehrjährigen Segelreise schrieb er auch für Fachmagazine in England und den USA. Ein Insider im Wortsinne, der seinen Lesern wasserhaltigen Content zu Appetithappen konvertiert und dabei eins mit dem Wasser geworden ist, auf dem er lebt.
Seit 2011 ist Detlef auf neuem Kurs unterwegs, um als Blattmacher Gänsen zu fliegenden Geschichten zu verhelfen. Die Zeitschrift Goose, Hochglanz Hausblatt der Silbermanufaktur von Oliver Berking in Flensburg, richtet sich an Liebhaber besonderer Couleur, denen vermutlich Tafelsilber für das gepflegte Zuhause wichtig, denen der Sinn nach edlen Fortbewegungsmitteln unter Motor oder Segel steht, die bereit und willig sind, sich für eine außergewöhnliche Außendarstellung eigener Persönlichkeit von Vermögens Anteilen oder Barbeständen zu trennen. Zumindest davon zu träumen! Ein Blatt, dass zweisprachig verzaubert, weil Englisch im Gegensatz zu unserer Heimatsprache überall gelesen werden kann. Ein Alleinstellungsmerkmal und kluger Schachzug, der einem deutschen Blatt das Tor zur weiten Welt geöffnet hat.
Goose erzählt Geschichten von berühmten Persönlichkeiten aus der Wasserwelt, berichtet von legendären Schiffen aus längst vergangenen Zeiten und schafft elegant den Brückenschlag ins Hier und Jetzt. Praktischerweise ist im gleichen Unternehmen auch eine Werft entstanden, die Träume in Holz verwandeln, restaurieren und wiederbeleben kann. Zudem ein veritables Museum voller einschlägiger Literatur sowie erlesene Schiffsmodelle, um das Angebot für Connaisseure abzurunden und ebenso zeitgleich wie elegant, ein wundervolles Ambiente für Zusammentreffen der besonderen Art zu schaffen: honoriger Persönlichkeiten, die aus der ganzen Welt nach Flensburg eingeladen werden, angemessene Garderobe selbstverständlich, Silberbesteck sowieso. Ein überaus weites Feld, für das die Welt der Abenteuerspielplatz ist, deren Wasserspielzeuge man im angegliederten Broker Annex, ggf. sogar gebraucht erwerben kann.
Ein Gesamtprojekt, das Oliver Berking ins Leben gerufen hat, insbesondere eine neue Heimat für altehrwürdige 12-mR und andere klassische Yachten, die bislang eher im Mystic Seaport Connecticut US ihr Zuhause hatte, wo dereinst Elisabeth Meyer einen erheblichen Anteil ihres Vermögens investierte, um einzigartige Schiffe für die Ewigkeit zu erhalten und Ausbildungsplätze für traditionellen Bootsbau zu schaffen.
Mein Chapeau gilt Oliver Berking, der mit Vision, Tatkraft und in harten Silberlingen ein Gesamtpaket geschaffen hat, dem nur noch der Runway fehlt, auf dem Gänse zwischen Learjets zu landen imstande sind – oder anders herum.
Goose ist ein wundervoller Futterplatz für Liebhaber traditioneller maritimer Lebensart, denen handverlesen Appetit gemacht. Schlau gemacht! Vermutlich ist Detlef ein Hecht im verlegerischen und redaktionellen Karpfenteich, den jeder kennt, der vermutlich hier und dort bei schreibenden Kollegen mit Neid bedacht, weil er seine Arbeit in einer besonderen Marktnische macht, deren Rückgrat, abseits allgemeiner Kosten-Nutzen-Kalkulationen, in unternehmerischem Tiefwasser ungestört Wellen erzeugen kann, um in deren Leeseite Silber in die Welt zu tragen. Ein strategisch meisterhaftes Unternehmenskonzept, das ein kluger Kopf entworfen hat, der über Weitblick und Ressourcen verfügt, die erforderlich sind, um ein derartiges Unterfangen langfristig und erfolgreich im Markt zu etablieren. Fast könnte man denken, Detlef habe hier als Teil eines großen Ganzen seinen würdigen Thron gefunden, aber die Geschichte lehrt uns, dass es immer noch Steigerungen geben kann, bzw. Wendungen oder Veränderungen, die das Glücksgefühl noch intensiver machen, jedenfalls für Segler.
Ich kenne Detlef lebenslang, gleichwohl verlief hier wie dort das Leben erheblich zu rasant, um sich einmal in aller Ruhe zusammen zu setzen. Bei Gosch in Flensburg hat es geklappt, wir haben gegessen, getrunken und geschnackt, waren beide am Ende pappensatt, haben Gemeinsamkeiten sortiert und sodann ungeniert, keineswegs erstaunt, festgestellt, dass unsere Synapsen einander nicht beissen, was unter Männern mit Lebenserfahrung, keineswegs die Grundausstattung ist. Für mich keineswegs eine Überraschung, hingegen die logische Folge eines Lebensplans von Menschen, die unternehmerisch und eigenverantwortlich ihr Leben in die Hand genommen haben. Eine gerade Furche zu stillschweigender Übereinstimmung sowie unbändiger Lebensfreude.
Detlef hat einen wesentlichen Teil seiner Lebenszeit als Liveaboard verbracht und es war nur logisch, darüber das Buch „Hafenjahre“ zu verfassen, in dem er Notwendigkeiten, Anforderungen, Sorgen sowie Pflichten, beschreibt, denen man sich zu unterziehen – oder zu unterwerfen? – hat, wenn man schwimmend leben möchte, auch wenn man irgendwo festgebunden ist. Je nach Größe der Familie sind die Anforderungen an das jeweilige Schiff natürlich different. Als verliebtes Paar genügte Detlef und Anke anfangs die 10 Meter Segelyacht Enterprise, um auf ausgedehnten Reisen darauf zu wohnen.
Die Familie hingegen wuchs rasant und es wurde eklatant, dass man ein Auge auf größere Schiffseinheiten zu werfen hatte. Ganz anders, als man denken könnte, hat der Familienvater allerdings die Größe seiner Schiffe nicht Meterweise, sondern in 10 Meter Schritten vorgenommen, was nur zu bezahlen ist, wenn man anstelle teurer Yachten, solide Berufsschiffe in den Fokus nimmt, um sodann festzustellen, dass die behördlichen Anforderungen für derartige Schiffe sowie die zum Führen erforderlichen Patente, für einen segelnden Familienvater mit rasant wachsenden finanziellen Verpflichtungen, gewaltige Herausforderungen darstellen, die nicht immer logisch oder gar nachvollziehbar sind. Ein Kriegsschauplatz, bei dem man kühlen Kopf behalten muss, damit weder das Schiff noch der Kapitän untergeht.
Das Motorschiff Libje war konsequent mit Laufgitter auf dem Oberdeck, Zentralheizung im Wohnbereich, Beschattung gegen zu pralle Sonneneinstrahlung, Blumen und Pflanzenidylle auf dem Achterdeck ausgestattet, allerdings ohne Kleinwagen quer auf dem Achterdeck! Ortswechsel konnten mit langsam laufender Maschine im Zeitlupentempo erledigen werden, eine für Segelfreunde enorme Attraktion, bei der man an den Wochenenden im Nebenlauf der Elbe segelnd längsseits gehen konnte.
Der spätere Segelklipper Anna Johanna konnte sogar Gardinen – also Segel – hissen, um geräuschlos vom Fleck zu kommen, wenngleich wenig rasant und ohne großen Wellenschlag. Beide Schiffe wurden nacheinander zum schwimmenden Zuhause für die schnell wachsende Familie. Am Ende waren 2 große und 3 kleine Köpfe an Bord, aber selbst für Besucher oder andere Kids war auch dann immer noch genügend Platz zum Schlafen.
Ich habe Detlef ihm Jahre 2006 beim Landleben „erwischt“, als ich zum Abendessen in Flottbek bei Weltumseglern zu Besuch gewesen und beiläufig erfahren hatte, dass er samt Familie im Nebenhaus logierte. Die Anna Johanna lag damals nur wenig entfernt in Teufelsbrück im Hafenschlick. Vermutlich der beginnende Spagat einer Familie, deren Interessenlagen in Sachen Wohngegebenheiten sich unterschiedlich zu entwickeln begann, mit Langzeitfolgen im Ehebetrieb.
Heute lebt Detlef in Flensburg auf seinem Traditionsseglers Hollandia, ist zeitgleich Kapitän und Wirt der „Schiffbar“, verfügt über ansehnliche Weinvorräte, die er Gläser weise verkauft, notfalls selber trinkt.
Sein Arbeitsplatz bei Goose ist wenig entfernt, ebenso wie seine drei Kinder, die bei seiner Exfrau an Land zu Hause sind. Als ausgewiesener Fachmann und Liebhaber von Print hat er bereits zweimal ein schwimmendes Literaturfestival in Flensburg veranstaltet, wer es online liebt, kann ihn auf seiner Website Literaturboot.de besuchen, einen Web-Hafen für maritime Literatur und Lebensart. Kaum verwunderlich, dass Detlef auch als Buchautor seine Spuren hinterläßt: neben Fachbüchern in Englisch und Deutsch wurde im Frühjahr 2019 sein erster Roman („Black Jack“) beim Verlag KJM veröffentlicht, ein zweites Buch verursacht ihm derzeit Schweißausbrüche, weil sein Verleger Klaas Jarchow bereits auf´s Zeitfenster drückt, denn das Erscheinen dieses Romans ist für das Frühjahr 2020 bereits festgelegt.
O-ton Detlef: „Wenn meine drei Kinder schon groß wären, dann würde ich wohl gerade im Pazifik herumsegeln. Denn dort bin ich noch nie gewesen.“ Ein Lebensplan, der unerfüllt im Raume steht, was im Winter in Flensburg Dynamik im Kopf verursacht. Immerhin gibt es seit kurzem eine neue Liebe. Seine wunderschöne Alberg 35 aus Amerika, einer klassischen Hinckley ähnlich, die derzeit mit Inbrunst für eine Wiederauferstehung unter Segeln vorbereitet wird. Segeln tut sie schon, allerdings mit Kratzern und Lebensblessuren – und noch ohne Heckverzierung. Aber, dass wäre nur eine Frage von 4 schnellen Löchern – was notfalls ohne Betäubung zu machen ist.
Mit Vergnügen aufgeschrieben am 21.12.2019
Peter Foerthmann
…ein schöne Würdigung von Detlef’s Arbeit!