Tom Cunliffe

22 TONNEN GAFFELKUTTER WESTERNMANN GESTEUERT VON RAYMARINE PINNENPILOT
An einem sonnigen Sommernachmittag steuert wohl jeder mal gerne, aber nach den ersten paar Stunden wird das Steuern dann meistens zur eher lästigen Pflicht. Abgesehen von Zauberern wie dem Pionier aller Einhand-Weltumsegler, Joshua Slocum in seiner Spray, waren es die ersten Einhandrennen der 1960er Jahre, die diese harte Nuss des selbstständigen Steuerns endlich geknackt haben. Sir Francis Chichesters Idee eines kleinen Segels, welches auf das Ruder wirkt, hat noch meilenweit daneben gelegen, aber Blondie Haslers „Servo-Pendelruder“ hatte schon mehr als nur einen Hauch des Genialen. Bis heute ist dies die Basis vieler Systeme und in den 1970er Jahren habe ich mein eigenes Boot mit einer Gunning-Anlage ausgerüstet, die ebenfalls dieses Prinzip verwendete. Wie so viele der frühen Windsteueranlagen sah auch diese aus, als habe sie jemand in seiner Garage zusammengebraten, aber sie hat mich nie im Stich gelassen und abertausende Seemeilen mit faszinierender Präzision gearbeitet.
Später baute ich einen Windpilot an meinen 22-Tonnen Gaffelkutter Westernman. Die Ruderausschläge waren hier nicht exzessiv, aber um die sieben Fuß lange, eiserne Pinne ab Windstärke vier noch bewegen zu können, benötigten wir die Hilfe einer Talje. Dieses Schiff mit kleiner Besatzung zu segeln wäre ohne eine Form der Selbststeuerung also ziemlich anstrengend geworden. Tatsächlich hatten wir das Schiff zu dritt und ohne Selbststeuerung über den Nordatlantik gesegelt. Als wir endlich auf den Isles of Scilly ankamen während sich der vierte Sturm der Reise austobte kamen wir uns vor, als wären wir die ganze Zeit im Fitnessstudio gewesen, mit dem Teufel persönlich als persönlichen Trainer! Dabei ist es nicht so, dass dieses Schiff schlecht getrimmt gewesen wäre. Es war einfach nur ein schwerer Gaffelkutter mit einem sehr großen Rigg.
Wenn Sie jetzt denken, mein altes Boot wäre für Sie irrelevant, bedenken Sie dies: Wenn man ein Schiff wie Westernman dazu bringen kann, von einer Selbststeueranlage gelenkt zu werden, dann ist das Steuern einer modernen Yacht für die gleiche Art von Anlage ein Kinderspiel.
 
Das Servo-Pendelruder
Das Servo-Pendelruder nutzt die Kraft des vorbeiströmenden Wassers, um die Wirkung des Windes auf das Ruder erheblich zu verstärken. Eine Windfahne wird so eingestellt, dass sie im Wind „federt“, wenn das Boot auf Kurs ist. Gerät es vom Kurs ab, wird mehr Wind auf der einen oder der anderen Seite der Windfahne treffen. Ganz gleich, ob die Windfahne auf einer vertikalen oder horizontalen Achse dreht, wird sie sich nach Lee ausweichen. Diese Drehung aktiviert das Servoruder, ein schmales Ruderblatt, welches unterhalb der Anlage durchs Wasser gezogen wird. Dieses „Paddel“ wird durch die Windfahne etwas gedreht, so dass es sofort von der Strömung auf die eine oder andere Seite gedrückt wird wie ein Pendel. Um die enorme Kraft dieses Mechanismus zu verstehen, kann man es mal mit einem richtigen Paddel ausprobieren, während man mit dem Dinghy an Land motort. Sie werden sich wundern!
Die seitliche Pendelbewegung wird durch Leinen übertragen, die entweder auf die Pinne oder das Steuerrad wirken und so das Ruder entsprechend legen. Auf der Windpilot Webseite wird das Prinzip gut erklärt – in der Animation rechts und halb unten.
Wenn das Paddel sich seitwärts bewegt, zieht es die Pinne mit oder dreht das Rad, bis das Boot wieder auf Kurs ist, mit dem ursprünglichen Winkel zum scheinbaren Wind. Die Windfahne und das Servoruder richten sich nun wieder in der neutralen Position aus, bis das Boot erneut vom Kurs abweicht, die Windfahne von einer Seite mehr Wind bekommt, das Servoruder dreht und auspendelt und so weiter. Mit einer ausgereiften Anlage wird auf diese Weise ein erstaunlich gerader Kurs gesteuert werden.
Unter Motor jedoch und in den ständig sich ändernden Windbedingungen mit Böen und Drehern unter der Küste funktioniert das nicht. Die Lösung dafür zu finden, erforderte kreatives Denken und einen Pinnenpilot. Ich besorgte mir einen großen Raymarine Autohelm 4000, aber die meisten Boote kommen gut klar mit den kleinen, einfachen Pinnenpiloten, die es am Markt gibt.
Zuerst baute ich den Autohelm direkt an der Pinne an. Dort hatte die Anlage keine Chance und es sah ganz nach einem Fehlkauf aus, bis ich eines Tages ein kleines Loch in meiner Windpilot Anlage entdeckte.
Ich überlegte, ob der kleine Nirostabolzen, der von Autohelm mitgeliefert wird, passen würde. Ich hatte noch einen über und er passte wie angegossen. Offensichtlich war das Loch genau für diesen Zweck dort, und so klebte ich den Bolzen darin fest. Während das Epoxy hart wurde, paste ich den Pinnenpilot an und bohrte dann ein Loch in das hölzerne Schanzkleid meines Bootes, in dem das andere Ende befestigt werden sollte. Raymarine hatte sogar eine zweite Buchse für dieses Loch mitgeliefert.
Schon eine Stunde später baute ich die Windfahne ab und meine neue Anlage auf. Statt die riesige, schwergängige Pinne bewegen zu müssen, brauchte der Pinnenpilot nun lediglich am Servoruder zu zupfen. Statt wie bisher vom Wind, wurde das jetzt vom elektrischen Pinnenpilot bewegt und das Boot wurde nun statt in einem beständigen Winkel zum Wind auf einem beständigen Kompasskurs gesteuert. Das geht natürlich auch beim Segeln. Und wann immer der Wind leicht oder launisch ist, benutze ich jetzt nicht die Windfahne, sondern den auf diese Weise eingesetzten Pinnenpiloten zum Steuern.
Der Stromverbrauch ist kaum merkbar, weil der kleine Motor im Pinnenpilot die schwere Arbeit nun über das Servoruder erledigen lässt. Das wiederum liebt diese Arbeit!
Je mehr Fahrt wir durchs Wasser machen, desto energischer steuert das Pendelruder und das Schiff kann sich auch auf diese Art über tausende von Meilen selber fahren. Dabei ist es ruhig, weil die Geräusche vom Pinnenpilot nur ganz weit achtern entstehen. Wir hatten einen Pinnenpiloten, der jahrelang ohne jegliche Wartung gearbeitet hat.
 
Wie man die beiden miteinander verbindet
Falls Ihre Windsteueranlage schon ein Loch für den Bolzen des Pinnenpiloten an der richtigen Stelle hat, so wie es bei meiner Windpilot-Anlage der Fall war, ist das ganz einfach. Sonst muss man selber bohren. Das Loch sollte für den Bolzen eng sein, da das System Stunde um Stunde daran zerrt und schiebt.  Das andere Ende des Pinnenpiloten auf einem hölzernen Schanzkleid zu befestigen ist noch einfacher. Der Pinenpilot sollte in neutraler Position an der Windsteueranlage befestigt sein. Dann die Stelle markieren, wo der Stift des Pinnenpiloten auf dem Holz landet. Dort das Loch für die Buchse des Pinnenpiloten bohren und die Buchse mit einem Klecks Epoxy hineindrücken. Wenn es keinen guten Befestigungspunkt auf dem Schanzkleid gibt, kann man normalerweise etwas am Heckkorb imprivisieren. Die Kräfte, die hier wirken, sind praktisch zu vernachlässigen.
Unter Umständen wird eine Verlängerung der Schubstange des Pinnenpiloten nötig sein; Raymarine bietet eine als Extra an. Ansonsten muss man eben etwas aus Holz, Plastik, oder was auch immer gerade in der Werkstatt herumliegt, bauen. Sollte es gerade nicht passen, dass die Schubstange vor- und zurück arbeiten kann, kein Problem. Man muss nur den Kopf der Windanlage drehen, als würde man die Windfahne zum Wind ausrichten, bis es passt.
Allerdings braucht man etwas gesunden Menschenverstand um die Bewegungen des Pinnenpiloten zur Kurskorrektur dem Arm der Windsteueranlage anzupassen. Die benötigten handwerklichen Fähigkeiten dagegen sind so einfach, wie es nur geht. Und das ist dann auch schon alles.

Andere Systeme
Auf meinem Boot hatte ich eine Windpilot Windsteueranlage mit einem Raymarine Autohelm verbunden, aber es gibt keinen Grund, warum das nicht auch mit anderen Herstellern von Selbststeueranlagen oder Pinnenpiloten funktionieren sollte. Nutzer von Hydrovane Windsteueranlagen haben ein ähnliches System erfolgreich benutzt, ohne das Servoruder. Hier wird ein balancirtes Hilfsruder eingesetzt und ich bin mir sicher, dass auch das bestens funktioniert, wenn man es mit einem Pinnenpiloten statt mit der Windfahne steuern lässt.

Tom Cunliffe in oct 2020

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