Najad 34

WOLF IM SCHAFSPELZ
Huch – hast Du gesehen, was uns da eben in Lee überholt hat? Haben wir Treibgut vor dem Kiel oder Ruder? Sind wir auf Grund gelaufen? Oder war das eine Fata Morgana? Das sind die Fragen, die einen Skipper plagen, die seine grauen Haar wachsen lassen, wenn er sich partout nicht erklären kann, warum wieso weshalb er plötzlich von einem Schiff überholt wird, dem er sich bislang überlegen gefühlt, dessen Skipper er eher lässig gleichwohl gnädig gegrüsst, wenn er ihm elegant vorbeigesegelt ist?

Donnerwetter, war das eben wirklich eine Najad 34?

Vermutlich wurden und werden Kaufentscheidungen segelnder Zeitgenossen exakt in solchen Situationen geboren: man wurde überholt, erniedrigt, wieder und wieder, bis zum Burn Out, bis die Blase platzt, man den dauernden Erniedigungen sodann ein Ende macht. Dann werden raffinierte Gedankenketten innerhalb der eigenen vier Wände durchexerziert, die einen Schiffswechsel am Ende als vollkommen logisch sowie notwendig erscheinen lassen, bei denen sogar zögerliche widerstrebende Gesponste maskulin niedergestimmt werden: der neue Schwan wird dann gekauft!
Diese Zeilen weisen einen ganz anderen Weg: Ehepaar Wortmann aus Berlin, lebenslange Segler seit Kindesbeinen, haben ihrer Najad 34 über Jahrzehnte die Treue gehalten, sich an Seeverhalten und Bequemlichkeiten dieses soliden Langkielers gewöhnt und keine Lust auf eine neumodische Segeldame. Die Marewiga wurde einer Frischzellenkur unterzogen, sie wurde vom Schaf zum Wolf umgebaut. Der Eigner ist dabei rigoros vorgegangen, seine Frau Gabriele ( der weibliche Erzengel ) war tapfer, wobei das Geheimnis dieser Einigkeit vermutlich bei der Frau zu suchen ist, weil sie, obgleich scheinbar ruhig und introvertiert, eigentlich die treibende Kraft gewesen scheint, denn immerhin ist sie der Alte Segelhase in der Familie. Vielleicht war also der Mann nur artig? Weiss man ja manchmal nicht, zumal Brunnen tief sein können und man die Wahrheit nicht final ergründen kann. Zumal: man will ja auch nicht die Nase zu tief reinstecken in anderer Leute Gedankenfolgen!

Jedenfalls steht heute eine neue Palme an Deck, 17m schlanke Meter über Wasser, glatte 2,35 länger als die alte, die nun ein anderes Schiff schmückt, das den eigenen abgesegelt hatte. In Berlin sind Dinge möglich, die anderswo unlösbar scheinen, was sicher damit zu tun hat, dass in der Molochstadt, wie der Eigner seinen Lebenmittelpunkt selbst benennt, schlicht zu viel hochseefähiges Schwimmzeug an den Stegen festgebunden ist, derweil die Eigner samt zwangsverbundener Familien noch zu arbeiten haben, zwischen den Wochenenden, gleichwohl des Abends unter der Woche schon mal schaukelnd träumen wollen, wenn sie über den Wannsee blicken. Eine privilegierte Wasserlage, obleich einige Tagesreisen von der grausamen See entfernt, was ja nix macht, denn: man ist ja unterwegs.
Abgeschweift, entschuldigung! Das Schiff wurde vom Eigner, der seit einigen Jahren vom Beruf befreit, konsequent zum Wolf weiter entwickelt: das 370 kg schwere grüne Röcheleisen wurde durch einen Lamborghini ersetzt – logisch kenne ich den korrekten Namen, passt aber besser zum rasanten Gesamteindruck der ganzen Yacht. Der dreiflügelige Wasseranker durch ein 4- flügeliges Faltmodell ersetzt, die Segelgarderobe radikal dem höheren Rigg und Alters Tachostand angepasst, Rollmichsegel und Wendehals Fock machen nun altersgerechtes Einhandsegeln möglich, weil man nun nur noch am Rad zu drehen hat. Alles praktisch! Nun wird demnächst auch noch das Steuern automatisiert, damit man ggf. das Schiff in Zukunft alleine auf die Reise schicken kann, derweil die Mannschaft dann im Zielhafen nur noch die Leinen anzubinden hat, weil man bequem mit dem Fahrmobil dorthin gerauscht ist, um es dort einzufangen.

Berliner sind schon besonders, wobei ich mich bislang noch nicht entschieden habe, wie ich das denn wohl meine. Wohlwollend gesagt: ich liebe die alten Schiffe, auch wenn sie plötzlich in Lee unterdurch flitzen, es wäre allerdings frustrierend, wenn dann am Ruder keiner mehr sitzen würde … weil der Kahn vom Heck her gesteuert wird, vom Steuersklaven.

Habe die Ehre!
03.12.2022
Peter Foerthmann