Mutante Welt

BLAUWASSERSEGELN IN EINER NEUEN WELT
Wasser hat keine Balken – eigentlich – aber in einer Welt, in der kein Stein mehr auf dem anderen liegt, in der die Geschehnisse einander gegenseitig überholen, in der wir atemlos, selbst wenn ohne Maske, zu erkennen haben, dass wir mit rasender Geschwindigkeit von neuen Ordnungen umzingelt sind, und vergangene Zeiten, obgleich nur wenige Monate entfernt, bereits sehnsuchtsvolle romantische Gedanken in unseren Herzen erzeugen, sei erlaubt, die Frage nach einem Status Quo zu stellen, denn, um im Bild zu bleiben, die Balken haben uns umzingelt, haben unsere Freiheit unter Segeln verändert, uns drastisch eingeschränkt. Die Welt ist eine andere geworden ist. Sollen wir das bedauern, oder auf luftigem Niveau ein wenig jammern?
Ein schneller Rundblick im Bodensatz von Meldungen, die ich tagtäglich aufsauge und verdaue, kann Schnappatmung erzeugen, weil ich als stiller Steuermann an den Hecks jener Flotten präsent, deren Skipper mich an Bord geholt, um zumindest unter Segeln ruhigen Schlaf zu geniessen. Der Wunsch nach Steuerfreiheit ist allen Seglern gemein, denn ohne windige oder elektrische Steuersklaven … ginge nix auf See, weil Freiheit mit Faulheit Hand in Hand, Bequemlichkeit garantiert, die man ja genießen will, zumindest weit draussen auf der grausamen See.
Steuerfreiheit im Plaisierverkehr ist erst vor einem halben Jahrhundert erfunden worden. Der Krieg war endlich vorbei, man hatte endlich wieder Zeit für Neugierde, in deren Kielwasser Nachfrage und Angebot entstehen können, wenngleich Influencer den Spiess heute umzudrehen suchen. Die Entwicklung von handlichen Steuersklaven wurde zum logischen Weg, der auf der Joshua noch als Gestänge vorhanden, gleichwohl Moitessier den Sieg verschenkte, den er unterwegs plötzlich nicht mehr als wichtig empfunden hatte. Und nun haben wir den Salat! Wundervolle Bücher, die Vorstellung, wie ein richtiges Schiff auszusehen hat, Kiss sowieso … aber keine Freiheit mehr, wie sie Moitessier so wundervoll mit Worten zu umranken verstanden hat. Eine Legende bis in unsere Zeit. Darum bleibt sie lebendig, egal wie wir neuerdings das Wort Freiheit auf See zu deklinieren haben.
Heute weht ein anderer Wind, der den Seglern an Bord schneidiger Schiffe direkt von vorne in die Klüsen bläst, der ihre Planungen ruiniert, der ungeniert sämtliche Wetter Spielregeln torpediert und einst zuverlässige globale Fahrpläne konterkariert.
Und an Land? Dort heisst die Botschaft immer gleich:
Wir haben Angst vor Deiner Atemluft,
wir wollen dich nicht haben, 
willst du bleiben, musst du höflich danach fragen, 
dich unseren Regeln unterwerfen, 
devot Bedingungen deklinieren, ggf. sogar auf allen Vieren. 
Ansonsten schmeissen wir dich raus, unter Begleitung von Militärpatrouille!
Wir haben nämlich den Spiess umgedreht,
wir sitzen am langen Hebel.
Wir machen die Regeln.
Und du nicht!
Bürokratie ist heute omnipräsent und schon mal dominant, sie gehört auf kleinsten Eilanden zum Empfang. Papierkrieg, vorzugsweise gern per Sat-Verbindung gerät uferlos, zeitraubend, nicht immer logisch, gleichwohl kosten und zeitraubend, denn Uniformen samt Altersversorgung schaffen Arbeitsplätze, für die – oh wie praktisch! – segelnde Nomaden nolens volens, die Kosten zu tragen haben, weil man sie für zahlungskräftig hält. Ein deja-vu, wenngleich hier und dort Dokumente mit weissen Handschuhen angefaßt, was in deutschen Amtsstuben ja eher ungewöhnlich ist! Uniformen und Verhaltensnormen erzeugen Distanz zur Obrigkeit, bei der selbstbewußte – oder vorlaute! – Segler schnell kleiner – gemacht! – werden können. Verdrehte Welt? Jedenfalls ist international der Respekt hergestellt, Customs und Immigration führen ein Regiment, dem kein Segler entkommen kann, nicht mal wenn er mit der Flugmaschine angeflogen kommt. Ein kleiner Ausflug gefällig? Hier ist der Linkoder allgemeiner bei Noonsite
Die Zeiten von Auslegerkanus mit Hula-Schönen, Kokosnüssen, Blumenketten, Fischen und Muschelketten are gone with the wind, Segler sind hier oder dort zu Devisenbringern reduziert, die ihr Schneckenhaus dummerweise selber mitgebracht haben und ergo als örtlicher Wirtschaftsfaktor nur eine geringfügige Rolle spielen können, weil Airport Shuttle, Beach Resort samt Butler Service, Island Roundtrips mit Folklore Einlagen, ausgeklammert bleiben  – wenngleich immerhin hier und dort auch schon mal Leihwagen infrage kommen. Yachties sind eher zu einer besonderen Spezies mutiert, deren Interesse an lokalen Besonderheiten im Fokus von Social Media all zu gern zur Aufwertung eigener Alleinstellung verwendet bzw. eingesetzt, über FB, YT oder Insta Botschaften weltweit verbreitet wird, wobei exotische Reiseziele zum attraktives Lokal Colorit umfunktioniert, derweil sie im örtlichen Supermarkt mit den Locals um die Wette kaufen, wo belastbare Kreditkarten zum Vorteil werden, was nicht überall gefällt. Kollateral allerdings werden zuhause Sehnsüchte generiert, die als Honig dienen, um die wunderschönen Zielgebiete ggf. mit Silbervögeln ( heim ) zu besuchen, falls 5G das erlaubt, abgleich wir erst mit 3G angekommen sind. Wer weiss, was die Zukunft noch bringen wird? Was wir immerhin wissen: gegenüber früher, als die Halbwertzeit von Südseeträumen erst nach einem halben Jahrhundert mit der Realität abgeglichen werden konnte, schafft Delos das heute über Nacht! Es ist zum schwindelig werden! Völlig aberwitzig, dass der ordinäre Cruising Segler noch mit 5 – 6 Knoten torkelnd hinter dem Horizont verschwindet! Ein Widerspruch, der nach Klärung verlangt, weshalb ja Multihulls erfunden wurden, womit man nun Wettersystemen ein Schnippchen zu schlagen in der Lage ist, zumindest wenn Meeno keinen Mist erzählt und Orcas nicht ins Ruder beissen.
Der Treck nach Westen ist ins Stolpern geraten, was wenig wundert, auch wenn dadurch schon mal lebenslange Planungen von Seglern im Orkus landen, derweil sie dem Erwerbsleben den Rücken zu kehren trachten. Ein Luxusproblem weniger? Nein, aber ein Phänomen, das rings um den Spielball begeisterte Segler jeder Einkommensstufe zwingt, sich den Veränderungen anzupassen. Segler sind gemeinhin erfinderischer und flexibler, als ihre Kollegen an Land, die im Berufsprozess, bei der Aufzucht von Erben sowie der Anhäufung von Ressourcen noch nicht den Ausgang gefunden haben, oder noch nicht über ein seegehendes Schiff verfügen. Oder Menschen, die in gerader Lebensfurche bislang klar gekommen, aber plötzlich war die Partnerin weg, unter teilweiser Mitnahme gemeinsam erarbeiteter Ressourcen, oder weil die Schiss sie eingeholt, vor der grausamen See hinter der Hafenmole. Das Leben gleicht einem Roulette, mancher findet sich am Ende – oder bereits unterwegs! – in einem anderen Bett – metaphorisch ausgedrückt. Wer den Absprung schafft, hat gewonnen, allerdings nur solange, bis er realisiert, dass er von schwimmenden Balken umgeben ist.
Jedenfalls ist Umdenken angesagt, wobei hier und dort Kapital verloren geht, wenn z.B. die Ankunft im Südsee Paradies zur Falle geworden scheint, aus der zu entrinnen, nur wenige Optionen denkbar, die allesamt jede Planung – inklusive der Lebensplanung! – auf den Kopf zu stellen in der Lage sind. Vom Verkauf der schwimmenden Geliebten vor Ort, was nur unter gewaltigen Verlusten machbar, weil Interessenten simultan darunter zu leiden haben, dass ihre Reisefreiheit im Silbervogel erschwert und zumeist nur zu extravaganten Preisen möglich ist. Oder aber anderer Imponderabilien, wie sie jenem weiblichen Pechvogel zugestossen sind, die eine gebrauchte Nicholson 31 in Papeete preiswert erwarb, allerdings die neue Geliebte dann monatelang nicht besuchen durfte … um mit ihr zu segeln. Das Angebot wundervoller Schiffe im Pacific ist gewaltig, ganz im Gegensatz zum Preisniveau, das vielfach schamhaft gar nicht mehr benannt, weil man jede Hoffnung hat fahren lassen und darum dazu übergegangen scheint, etliche Schiffe gar nicht mehr zu bepreisen, lediglich dezent vermerkt: price on request – or on offer. Dramen bei denen Lebensarbeitsergebnisse und Kapitalpolster vernichtet werden mit Langzeitfolgen im Partnerbetrieb.
In New Zealand warten Flotten von Geisterschiffen auf ihre Eigner, deren Einreise verhindert wird, seit Monaten. Nicht jeder Segler hat das Glück einen Freund oder Bevollmächtigten vor Ort zu haben, der sich um sein Schiff kümmert. Der Gebrauchtmarkt scheint ins Stocken geraten.

Der Treck nach Westen hat Schluckauf bekommen, ein Visum nach NZ muss heute ggf. teuer erkauft werden, z.B. in Form von Reparaturaufträgen für die geschundene Yacht, die seit Europa immerhin bereits um die halbe Welt gesegelt und dringend der Pflege, Reparatur und Erneuerung bedarf, um anschliessend – irgendwann? – weiter zu segeln? Mit einem gesunden Kapitalpolster verbessern sich die Chancen, für einen Werftaufenthalt ins Paradies zu gelangen kolossal, oder werden dadurch erst möglich. Immerhin dem zweiten Traum nach Tahiti, denn NZ ist für Segler auch heute noch ein Sehnsuchtsland, das zu erreichen hohe bürokratische Hürden zu überwinden sind. Es erscheint logisch, dass der Weg für weniger finanzkräftige Plaisiersegler … steinig ist. Der Weg im Paradies ist zum Kopfsteinpflaster geworden, aus dem viele qua Huckepack Decklast in die Heimat zurück sich haben fahren lassen, wobei der Wert des Schiffes sich schnell relativiert, bzw. zuvor gegen den Preis der Frachtpassage in die Heimat abgewogen werden muss, Sevenstar jedenfalls macht´s möglich – derzeit werden 2.000 Yachten p.a. transportiert.

Vermutlich ist kaum eine zweite Region des Blauen Planeten derart von Seglern entvölkert worden, wie derzeit die Flotte im Pazifik, weil die Optionen sinnvoller Destinationen ausgedünnt … und die Balken höher hängen, die sich einer unbeschwerte Reiseplanung überall entgegen stellen.

Wie passen diese Informationen zum Boom, der in Europa durch die Medien tönt, der uns laut in den Ohren klingt? Die Antwort ist so einfach, wie unser Bedürfnis, dem engen Umgang mit gefährlicher Atemluft zu entfliehen. Der beste Platz dafür ist die weite See, auch wenn es nur der Tümpel um die Ecke ist.

Interessant für mich die Tatsache, wie sich die Reiserouten der internationalen Segelkarawanen quasi über Nacht verändert haben. Galt früher die Atlantik Runde als reizvoll, scheint die Attraktivität der Karibik gelitten zu haben, denn derzeit bewegen sich unzählige Segler in europäischen Küstengewässern, die auch von US Seglern enorm frequentiert, einige Häfen zum Platzen bringen. Neuerdings erkunden die Segler in kleinen Schritten die reizvollen Segelreviere lieblicher Küstenstriche, an denen sie früher im Eiltempo vorbei gesegelt … um Süd zu machen.
Ob ich durch die Veränderungen arbeitslos werde? Diese Befürchtung wird auf einfache Weise konterkariert, denn Segler auf See neigen allesamt zu Faulheit …. sie sehnen sich nach Steuerfreiheit, wenigstens auf See, ein Zustand, den eine Heckverzierung garantiert.

Soweit ein paar schnelle Gedanken.
27.09.2021
Peter Foerthmann

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