HORMONELLE EMIGRANTEN – LEBEN IN EINEM ANDEREN ORBIT
Wer A sagt, ist sich vielfach über den Rest des Alphabets nicht ganz im Klaren. Wer sein Herz einem Menschen anvertraut, dessen Wurzeln tief in Auslandserde stecken, hat Entscheidungen zu treffen, deren Folgen sorgfältig zu bedenken sind, bevor er sich in einer Falle wiederfindet, er als Appetithappen endet, oder komplett zerrissen, sich am Ende hier wie dort niemals zuhause angekommen – oder angenommen? – fühlt.
Lebensverbindungen über grosse Distanzen hinweg bedürfen der Klarheit und Ehrlichkeit, wenn man Klippen umschiffen möchte, die überall im Wege liegen. Für einen Mann, dessen Beziehungsverläufe häufig an mangelndem Respekt zerschellten, der ein Ende mit Schrecken stets dem Endlosdrama vorgezogen hat, dem die wichtigen Eckpunkte respektvollen Miteinanders immer wuchtiger ( kein Schreibfehler! ) geworden sind, ein roter Lebens Faden, der sogar im Dunkeln leuchtet.
Die Demarkationslinien des Entwurfs eines Zusammenlebens hatte meine damals zukünftige bessere Hälfte nach der ersten Beschnupperung frühzeitig aufgezeichnet: sie sei nur im Doppelpack zu haben – gemeinsam mit ihrer Mutter, für die sie Verantwortung trage, lebenslang. Eine Bürde, die wir bis zum Tode meiner Schwiegermutter eisern gemeinsam getragen haben. Für einen Homunkulus, dessen eigene Mutter bis über den Tod hinaus zur Lebensheldin avancierte, eine Ansage, die ich auf der Zunge schmecken konnte.
Beiden an diesem Lebensdeal beteiligten Herzens Menschen war der Ernst der Stunde kein Lippenbekenntnis, wir haben die Verantwortung mit Leben ausgefüllt, gelebt, gelitten, gearbeitet und uns nie gestritten, weil man in einer feindlich gesinnten sozialen Umgebung, nur in völliger Übereinstimmung überhaupt bestehen kann, was für Mischehen aus zwei Nationen insbesondere gilt, weil hier wie dort Vorbehalte und Vorverurteilungen nonchalant wie bräsig, hinter jeder Ecke lauern und stets in Stellung sind. Denn: das schnellste Urteil heisst weltweit Vorurteil!
Wenn ich hier, zeitversetzt um 1,5 Dekaden, ein paar Puzzlesteine offen aneinanderlege, sie zusammenfüge, ein Bild zeichne, wie die Zeit vorbei gesaust, erstaunt mich der Rundumblick, in dessen Mittelpunkt zwei Menschen stehen, die Ihr Leben 24 Std / 365 Tage gemeinsam machen – ohne Punkt und Komma. Ich nenne es Leben in einem Bermuda Dreieck, dessen dritter Part die Wasserkante ist. Dass wir darüber nie Zeit für Urlaub hatten – Peanuts – es war einfach keine Zeit, daran Gedanken zu verschwenden, was keinesfalls eine Floskel ist.
Wir finden in Polen gemeinsam statt, das auch für mich zu einem Zuhause geworden ist, wie ich verwundert festzustellen habe, obwohl mir die Landessprache immer noch fremd, ich mir allerdings mit Tricks und Eselsbrücken zu helfen weiss. Ist natürlich praktisch, wenn man ein Sprachgenie an der Seite hat, die durch doppelte Sprechgeschwindigkeit simultan das Übersetzen erledigen kann. So schwimme ich in meiner zweiten Heimat wie ein Fisch im Wasser, ganz ohne Sprechblasen abzusondern, weil ich dort im Doppelpack mit meiner besseren Hälfte wahrgenommen und respektiert werde. Ursächlich, dass wir, auch wenn absent, stets präsent und für viele Menschen zur Anlaufstelle avanciert sind, wenn es darum geht, zu helfen, weil bald jeder im Dorf und Umgebung unsere Lebens Spielregeln kennt, die transparent, stets von Emphase geleitet sind, und Respekt! Wer diesen zu leisten nicht im Stande ist, für den haben wir in unserem Leben keine Verwendung. Es hat Jahre gebraucht, sich aus den Tentakeln von Vorwürfen zu befreien, gängiges Ping Pong Spiel, bei dem Menschen mit Emphase allzu leicht unterliegen.
Keep clear of Propeller, weil er Hackfleisch aus dir machen könnte, weil übergriffige Menschen nur Einbahnstrassen kennen, auf denen sie mit scharfen Ellenbogen unterwegs. Eine Lektion, die Jahrzehnte dauern kann, wir haben dies Erfahrungstal zu zweit durchschritten, sind dabei nachdenklicher und besonnener geworden, schauen genauer hin, insbesondere, wenn neue Menschen um die Ecke kommen.
HALLOWEEN UND ALLERHEILIGEN
Ist es nicht eigenartig, dass viele Menschen scheinbar erst nach ihrem Tode Respekt erfahren? Nur, weil sie dann zu kämpfen aufgehört haben oder sich nicht mehr wehren können? Ich empfinde die Zeremonien zu Allerheiligen als einen Widerspruch, der für mich immer grösser wird, je mehr ich die sozialen Abläufe und familiären Verhaltensweisen, teils mit angehaltenem Atem! – kennen gelernt habe. Ein Riss, der sich durch Familien zieht, was in kleinem Dorfverbund erschreckend verbreitet zu erkennen ist. Fast bin ich versucht, zu denken, dass der Kampf auf dem Friedhof, wenngleich mit anderen Mitteln, seine Fortsetzung zu finden scheint, nicht nur, weil oder wenn Blumenschmuck von Gräbern entfernt oder gar geklaut, sodann anderweitig Wiederverwendung findet.
Menschlicher Umgang im Dorfverbund zeigt gnadenlos, welche Werte heute scheinbar einzig wichtig sind, soziale Netzwerke verursachen Kahlschlag in Nachbarschaftsstrukturen, wer zuerst zuckt, hat bereits verloren, wenn er seine schwache Seite zeigt und mit den Folgen fortan zu kämpfen hat. Auf unsere Frage nach der Meinungslosigkeit einer Bekannten haben wir kürzlich diese Antwort erhalten: „ich muss hier schliesslich weiter leben, will mir eine offene Meinung darum ersparen“.
Halloween und Allerheiligen werden zum Prisma, fast wie beim Murmeltier, das stets und immer wieder grüsst, wenn es alljährlich um die Ecke biegt. Die Riten beim heiligen Feiertag werden von kirchlichen Würdenträgern bestimmt, denen die Gemeinde sich still zu fügen hat, will sie nicht aus der Herde ausbrechen und sich vor aller Augen preisgeben, oder gar blamieren. Bei Halloween hingegen sind wir Kapitäne über Regeln und bestimmen, wie der Tag und Abend zu verlaufen hat, entsprechend fröhlich geht es zu. Kann nicht jeder vertragen!
So konnte sich über viele Jahre eine Veranstaltung entwickeln, der viele Kinder im Dorf ungeduldig entgegenfiebern, nicht nur, weil sich herumgesprochen hat, dass es bei uns ausser Karamel und Kleingeld auch noch Freundlichkeit und menschliche Wärme zu holen gibt. Ein Lauffeuer mit atemberaubendem Ergebnis, denn er werden Kostüme gebastelt und die Kinder Karawane wird stetig grösser, wir haben dieses Jahr ganze Körbe voller Süssigkeiten vorbereitet. Übriggeblieben ist … nichts!
Zunehmend erscheinen auch Kinder, die in den Vorjahren an unserer Tür noch nicht aufgefallen sind, vermutlich weil hier oder dort die Regierungen sie einfach nicht losgelassen haben. Denkwürdiger Wortwechsel mit dem Nachbars Sohn Krzysztof, 14 Jahre alt: Frage meiner Frau: Hey Krzysztof, nett dich zu sehen, kannst Du mir sagen, warum Du die vielen Jahre zuvor nicht einmal Guten Tag gesagt hast, wenn du an unserem Hof vorbei gegangen bist? Antwort: „weil ich jung und dumm war“! Authentizität bis zum Herzstillstand, unsere Herzen machten einen Freudensprung!
Am interessantesten ist die lange Halloween Nacht mit vielen Jugendlichen aus Dorf und Umgebung, die sogar vorab in Hamburg anrufen, um nachzufragen, ob die Party wieder stattfinden werde, die zu uns kommen, um einen Abend der besonderen Art zu erleben, sich mit Menschen auszutauschen, die zuhören, denen sie ihre Geschichten und Probleme berichten und weitertragen können. Menschen, die sogar Fragen stellen und mit grossen Ohren die Antworten aufsaugen.
Junge Menschen allesamt, die ihr Leben mit Sorgfalt in die Hände genommen haben, die ihre Mütter vor den Schlägen ihrer trunksüchtigen Vätern beschützen, die weder Drogen noch andere Betäubungsmittel zu sich nehmen, sogar im Sitzen pinkeln, die zu einander halten wie Pech und Schwefel, sich nach einer anderen Zukunft sehnen, die realisieren, dass berufliches Weiterkommen in der menschenarmen Region in Nordpolen vermutlich nicht zu realisieren ist, die darüber auch schon manchmal verzweifelt sind. Junge Menschen, in deren Augen der Lebenwille ungeduldig blitzt, die sich voller Elan nach einem Weg sehnen, der zunächst erstmal das WECH bedeutet, weg aus der Heimat, ahnend, dass dieser Weg steinig werden könnte.
Herzzerreissend zu erleben, wie drei Brüder zueinander halten, sich gegenseitig helfen und unterstützen, wenn der Eine, Darek, seinem Bruder, für 1.000 Zloty ( € 250,00 ) ein Auto kauft, damit er wenigstens die Gewissheit hat, dass die 4 Räder des Wagens auch mit der Lenkung zusammen hängen, und der Bruder nicht im Graben landet!
Wenn ich als stiller Beobachter auf dieses Dorf schaue, in dem meine Frau geboren, kurz darauf sich bereits selbst überlassen, jeden Winkel, jeden Baum und jede Seele kennt, die ihre Heimat in tiefer Trauer mit kleinstem Gepäck in ungewisse Ferne und Einsamkeit verlassen, unendlich gelitten und sich durchgebissen hat, wir einander getroffen haben und hernach gemeinsam wieder zu ihren Wurzeln zurückgekehrt sind, so erkenne ich, wieviel Wärme sie in diesem Dorf hinterlassen hat, die ihr zeitversetzt heute entgegenschlägt, fast, als wäre sie nie fortgewesen. Auch wenn wir in Polen nur wochenweise unsere Zelte aufschlagen, so sind wir permanent präsent, weil wir dort Aufgaben erfüllen, die uns wichtig sind. Es sind die Jungen und die Alten, denen unser Herz gehört, denen wir helfen, denen wir Beschäftigung und Arbeit geben, von denen wir leider schon einige zu Grabe getragen haben, allzu oft in einem Alter, erheblich geringer als ich selbst.
Ein Mikrokosmos der besonderen Art, der nach dem Herzen greift, insbesondere wenn man viel von die Welt draussen gesehen hat.
6.11.2019
Peter Foerthmann
Pięknie napisane i sama prawda … U nas w Polsce nie ma TAK bardzo zaufanych i pomocnych osób jak MARZENA I PETER!!!! Macie swoje zmartwienia i problemy a zawsze wysłuchacie doradzicie i pomożecie innym nawet obcym wam osobą , którą jestem np. Ja i moja rodzina od nikogo nie dostałam tyle pomocy wsparcia co od Was!! Wy jesteście niesamowici i tak bardzo kochani jesteście cząstką nas, dziękujemy za wszystko!!!