Vassilingalou – Geburtstag

MARTINIQUE

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Die Yacht ist schon seit Jahren versunken. Vom schlammigen Wasser der Bucht erobert, ist alles unter Deck schon längst unbrauchbar, tot. Nur das abgemagerte, kahl-beklaute Rigg, einige Relingsstützen und der Bugkorb gucken wie Gammelzähne bei Hochwasser über die Oberfläche. In ähnlichem Zustand befinden sich drei weitere Schönheiten der Meere, die allesamt an der verrosteten Riffabsperrung angelehnt auf ein anständiges Begräbnis warten. Wenn der Mond will, zeigt die ein oder andere ein Stück stolzen Bugs, oder abgerundeten Hecks, Zeugen glücklicherer Zeiten.

Noah hält seinen Joint halb verdeckt und guckt mich aus dem Winkel an. Er ist sichtlich bemüht, meinen Akzent zu ordnen, meine Hautfarbe. Undefinierbar. Nein, die Yachten seien unbewohnt, er sei der Einzige. Nein, kein Eigner. Da mein Französisch alles zu wünschen übrig lässt, wiederhole ich die Fragen auf Englisch. Ganz sicher, kein Fehler, keinen kümmert’s was aus den Schiffen wird. Will ich denn eins kaufen? Seine dunkle Augen werden plötzlich lebendig, aber nur ganz kurz, nur bis zum nächsten Zug aus der bräunlichen, feuchten Kippe. Ich rudere langsam weg, will seinen Rausch nicht weiter stören.

Quer über der Bucht schaukelt gemütlich vor Anker eine kleine Sloop. Die halbe Rumpffarbe ist weg, so ist nicht klar, war das Boot grün oder weiß. Der Schmutz einiger Häfen an der Wasserlinie wetteifert mit den Rostnasen im Hässlichkeits- Wettbewerb. An Deck Ordnung und Sauberkeit, die Wächter über viele tausende von Seemeilen. Einige Wäschestücke tanzen zwischen den Wanten. Es sind unsere Flaggen der Liebe.

Wieder bei Noah und seinem ewigen Joint. Dieses Mal sind wir zu zweit und haben etwas Werkzeug im Dingi. Kein Problem, heißt es wieder, nehmt euch was ihr braucht, hier gammelt es nur. Ich will wissen, ob die Polizei der selben Meinung sein wird, aber Noah ist so kategorisch, dass wir uns gleich an die Arbeit machen. Sechs Schrauben halten den Bugkorb. Halb unter Wasser ist uns der heftige Regenschauer auch egal. Nur noch zwei Schrauben.

Das Dingi bemerken wir nur wegen des Geschreis. Es kann uns nicht angehen, oder doch? Eine Frau, oder was aus ihr nach jahrelanger Freundschaft mit dem Alkohol übrig ist, steht im Boot, fuchtelt und schreit mich auf Französisch an. Ich begreife nicht, zumal das Dingi in etwa 15m stehen bleibt und die Distanz nur mit Lautstärke zu überwinden ist. Ich schreie fragend zurück. Mein Französisch verlässt die Bühne ruhmlos, mein klares Deutsch röhrt zurück, verzweifelt. Siehe an, es ist ihre Muttersprache: „Ein Deutscher, ein verdammter Deutscher beklaut mich am helligsten Tag! An meinem Geburtstag werde ich beklaut! Ein verdammter Deutscher…, zwei verdammte Deutsche beklauen mich!“ Der Fluss ist nicht zu stoppen. Nicht mit Erklärung, nicht mit Noah, nicht mit Missverständnis. Es heißt, bau alles wieder zurück und verschwinde! Das Dingi entfernt sich unter Motor und der schweigsame Begleiter steuert, unter dem ununterbrochenen Redefluss, das Werftgelände an.

Wir warten nicht auf die Polizei. In mir treffen sich zwei hohe Dünungen. Wut und Scham. Fast kriegen sie mich mit ihrem erbärmlichen Spross, der Angst. Der unglückliche Bugkorb bleibt wo er war, nur unser Werkzeug kommt mit. Wir fahren schnell hinterher: „Hey, ich bin kein Verbrecher! Ich habe gefragt, 1000 mal! Deinen Nachbarn habe ich gefragt! Deinen Nachbarn, Noah! Ich brauche den Bugkorb! Ich bin bereit etwas dafür zu bezahlen!“. Iris‘ Augen füllen sich mit Tränen: „Ich verkaufe nichts! Ich segele mit diesem Boot hier weg! Es ist meine Rettung! Ich segele hier weg!“ Mir schaudert es, denn sie meint es wirklich. Es ist ihr Lebenstraum, den sie da vor uns nackt auszieht. Der ist dürr, funkt aber noch wie ein Großer. Sie ist uns nicht böse, wir machen einen anständigen Eindruck, meint sie.
Es ist ihr Geburtstag. Sie wird ihn im Schlamm der Werft feiern. Wir schenken ihr eine Flasche.

Tage danach erzähle ich die Geschichte einem alten Segler. Er guckt mich unter den Augenbrauen an: „Mein Boot habe ich von einem Holländer. Ich durfte es gegen einen Flugticket nach Rotterdam haben. Stolze elf Meter Stahl. Es war leer, leer sage ich dir. Der Holländer hatte es drei Monate zuvor in den Mangroven vor Anker gelegt – für die Hurrikan Saison. Als er zurück kam, war es aufgebrochen und leer, halb voll Wasser, Matsch und Krebsen. Die Erinnerung an ein Boot.“
Ich schweige. „Im Salon fand er ein Zettelchen“. Ich gucke ihn fragend an. „Lieber Segler“, stand drauf, „für dich ist nichts mehr auf diesem Boot übrig“.

Pointe-à-Pitre, 12.01.2014

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