INFORMATIONEN AUS ERSTER HAND
Fragen an JAYME SANTOS SOUZA, 61, pensionierter Professor der Chirurgie, Sohn des berühmten brasilianischen Weltumseglers ALFREDO SOUZA, erfahrener Blauwassersegler und Eigner einiger in Deutschland gebauter Yachten, nach jahrzehntelangem Segeln in brasilianischen Gewässern nun seit einigen Jahren mit wachsender Begeisterung in europäischen Gewässern unterwegs, die er bald fast wie seine Westentasche kennt.
Es ergab sich wie von selbst, dass ich Jayme im Jahre 2009 seine erste Windpilot Anlage für seine SV OPAI, eine BAVARIA 38 nach Gibraltar lieferte. Die Lieferung seiner zweiten Windpilot Anlage erfolgte dann in Hamburg um die Ecke: Jayme hatte gemeinsam mit seine Frau Adriana die SV MONSTERPIU, eine HANSE 385 in Greifswald bestellt und selbst abgeholt. Die beiden haben viele Wochen in Greifswald im tiefen Winter verbracht und sind anschliessend über Hamburg Richtung Süden entflogen.
Es war die Zeit für ein persönliche Treffen und der Beginn einer Freundschaft, die sich ungewöhnlich entwickelt sollte. Denn, nicht wahr, die Anzahl von brasilianischen Seglern, die mit Ihren Schiffen Hamburg besucht haben, lässt sich an einer Hand abzählen – stets waren es besondere Begegnungen mit Menschen, die ein aussergewöhnliches Leben führten, wie z.B. Charles Livingston, SV NICOLE, Luis Manuel Pinho, SV GREEN NOMAD , SV BASTARDO von Clara und Rodolfo Mena, sowie SV SURURU mit Bruno Carvalho. Wobei hier nicht unterschlagen werden soll, dass brasilianische Segler, verglichen mit den paradiesischen Zuständen für Käufer innerhalb des EU Marktes, quasi hinter einem eisernen Vorhang in einem von der Aussenwelt nahezu abgeschlossenem Land leben, zumindest was zoll- und steuertechnischen Restriktionen und Regulierungen betrifft, was die Einfuhr z.B. für Yachtzubehör nahezu unmöglich macht. So verwundert es nicht, dass ich bislang sämtlichen brasilianischen Seglern ein Windpilot System stets an anderen Plätze der Welt ausgeliefert habe. Argentinien, Capoe Town, USA, Singapore, Gibraltar, Rendsburg oder eben Greifswald.
Im Mai dieses Jahres war es jedenfalls wieder soweit: Jayme musste, sollte und wollte sich noch einmal vergrössern: Die SV XIMBICA, eine HANSE 41.5, war ein Kauf der Nolens Volens erfolgte. Wie das hat geschehen können? Auch wenn Jayme mit seiner SV MONSTERPUI aller bestens zufrieden gewesen, ist die Werft an ihn heran getreten mit einem fast unmoralischem Angebot: sein Schiff sollte vor Ort in Portugal von einem Käufer übernommen werden, wenn er zeitgleich einen Vertrag für eine werftneue HANSE 40.5 unterschreiben würde, Liefertermin Februar 2016 – Zuzahlung: rührend oder wie gesagt: unmoralisch. Jayme war erkennbar paralysiert, hat paraphiert und signiert, seinen Schwan leer geräumt und die Kiste voller Habseligkeiten nach Greifswald verladen lassen um hernach in die Heimat zu entfliegen, wo er noch heute ein Traumanwesen mit Wasserblick und Zugang besitzt.
Nach einigen Monaten unter brasilianischer Sonne, kamen Adriana und Jayme dann, braun gebrannt, im März wieder im windigen Norden eingeflogen: Das neue Schiff wurde übernommen, der peniblen Kontrolle eines ausgebufften Seglers und Chirurgen unterzogen, Wünsche, Forderungen und Nachbesserungen vor Ort artikuliert, abgeglichen und unter Strapazen abgearbeitet und dann im Mai nach Hamburg verholt.
Wenig amüsant die Fahrt durch den Kiel Kanal, in deren Verlauf sich herausgestellt, dass die Lichtmaschine falsch verkabelt und ergo keine Batterie geladen wurde. Ein Schiff, das im Kanal in der Dunkelheit nur mit der Taschenlampe beleuchtet, seine Reise dennoch nach Brunsbüttel fortgesetzt, weil man die Machine nicht mehr hätte starten können, hat die Alarmglocken sogar in Polizeiwagen klingeln lassen. Der Störfall wurde an Bord in aller Freundlichkeit geklärt und besprochen, in Brasilien hätten durchaus die Handschellen klicken können, wie Jayme schmunzeln berichtete.
Jedenfalls war die Zeit gekommen, uns miteinander nun ein wenig intensiver zu beschäftigen, eine Tag und Nacht füllende Angelegenheit nachdem wir uns bislang jahrelang überwiegend elektronisch haben austauschen können.
Natürlich waren wir neugierig: Die Generalfrage stets: warum verlässt ein Brasilianer sein Land, das in den Köpfen der europäischen Segler Schaft zunehmend zum Traumziel avanciert ist, um sich Richtung Europa zu orientieren und dortige Küsten zu entdecken? Irgendwie ungewöhnlich!
Immerhin hat der Segler Traum von einer Atlantik Überquerung Richtung Karibik seit einigen Jahren Konkurrenz bekommen, bzw. eine Ergänzung, Änderung bzw. Alternative erfahren: die Route über die Kap Verden Richtung Brasilien, in der Hoffnung, dort mehr Einsamkeit, geringere Kosten für Lebenshaltung sowie Liegeplätze in ungestörter Natur und vor allem eine geringere Regulierungswut anzutreffen, nicht zuletzt auch weniger gleichgesinnte Segler, von denen die Karibik heute so sehr überquillt. Brasilien ist in Segler Köpfen zur Traumdestination avanciert, ein Land mit endlosen Küsten und fantastischen Stränden, zudem bei uns beworben und bekannt für freundliche Menschen, die nicht zuletzt ihre Vorstellungen von Sex und Interaktion offen ausleben. Verlockende Gedanken und Hoffnungen.
Stimmt der Traum? Oder handelt es sich um eine Fata Morgana? Unterliegen die Segler hier falschen Vorstellungen?
Jedenfalls wurde dieser Besuch die perfekte Gelegenheit, drängende Fragen an Jayme zu stellen.
Peter: Jayme, Du hast viele Jahrzehnte in Brasilien gelebt und gearbeitet. Was hat sich geändert?
Jayme: Die Lebensituation hat sich in den vergangenen 12 Jahren dramatisch verändert, zum Schlechten. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Zunahme von Gewalttaten auch gegen Segler ( Raub, Angriff und Mord ) beängstigend angestiegen sind. In den grossen Städten wird heute alle 8 Minuten ein Mord begangen. Das öffentliche Gesundheits System befindet sich in schlechtem Zustand, eine Privat Behandlung und / oder Konsultation muss fast immer teuer erkauft werden, in aller Regel erheblich teurer als in der EU. Das gleiche gilt für die Zahnversorgung. Der Einkauf im Supermarkt liegt durchweg 25 – 30 % höher als in der EU.
Peter: Nach einem Leben im Paradies, welchen Traum hast Du heute?
Jayme: Bis zur Machtübernahme der Sozialisten im Jahre 2003, war unser Leben in Brasilien angenehm und schön. Wir konnten arbeiten, wir lebten in Sicherheit und hatten alle Möglichkeiten der Freizeit Gestaltung, das Wetter allzeit perfekt, kein Winter, keine Wirbelstürme, keine Tsunamis, Lebenshaltungskosten angemessen, Gesundheitsversorgung nicht ideal, aber immerhin akzeptabel.
Natürlich war auch mein Traum, nach der Pensionierung Segel zu setzen und los zu segeln. Wir haben eine wunderschöne Küste, stets Sonne und 26 Grad, perfekte Strände, kaltes Bier … zudem zwei grosse Flüsse, den Sao Francisco und den Amazonas, beide ein Traumrevier für sich allein. Eigentlich keinerlei Notwendigkeit, Richtung Karibik zu segeln oder in andere Richtungen, weil wir zu Hause das gesamte Spektrum eines Paradieses beisammen haben.
Peter: Yachtsport und Segeln für einen Brasilianer, wie sieht die Wirklichkeit aus? Segeln als Sport nur für Privilegierte, oder auch für normale Menschen? Wie sieht es mit der Besteuerung für Segler aus?
Jayme: Segelsport ist für reiche Menschen, die sich diesen Sport leisten können und wollen. Wer weder das Geld noch die Ressourcen besitzt, hat nur die Möglichkeit, sich sein Schiff selbst zu bauen, was immer wieder versucht wird, allerdings mit enormen Schwierigkeiten belastet ist. In Brasilien existiert heute nur eine Werft, deren Preise astronomisch, deren Qualität gleichwohl erbärmlich ist. Das Preis Niveau ist doppelt so hoch wie in Europa. Der second hand Markt ist kaum bezahlbar. Brasilien ist ein Land, in dem Segeln nicht stattfindet, weil hier nur Karneval und Fussball wichtig sind.
Boots Charter ist ein schwieriges Geschäft, zudem extrem hoch besteuert. So hat z.B. ein Charter Schiff unter brasilianischer Flagge 125% Steueraufschlag zur üblichen Steuer zu entrichten, die bereits ausserordentlich hoch ist. Zudem regelmäßig die sogenannte „bribe“, also Bestechung, ein bei uns völlig alltägliches Verfahren.
Wer ein Schiff hat, wird als wohlhabend und reich betrachtet, sogar stigmatisiert und steht damit automatisch im besonderen Fokus der Steuerbehörden, die hier besonders gern die Steuererklärungen überprüfen, mit endlosen Prüfverfahren – nervtötend für jeden Steuerbürger, zudem selten ein gutes Ende dabei herauskommt.
Wir haben keinerlei offizielle COAST GUARD oder SAR Facillities, wir verfügen nur über eine NAVY, die sich ihre eigenen Regeln macht und eigene Gebühren und Steuern erfindet. Wer hier aufsässig, zu selbstbewußt oder gar ungehorsam ist, rückt schnell in den Fokus einer kontrollwütigen Behörde, deren Regeln man am besten blind und still befolgt, wenn man sie denn zumindest kennt, was nur anzuraten ist.
Peter: Wie sieht es mit den Marinas des Landes aus?
Jayme: Es gibt etliche Marinas entlang der Küste, der Standard der meisten allerdings ist schlecht. Auch Service ist kein Ruhmesblatt, teuer aber wenig effizient. Auch Krane und Travellifts sind kein Standard, die Preise dagegen meist ungewöhnlich hoch.
Peter: Und wie sieht es bei den Ankerplätzen aus?
Jayme: Hier hat unser Land wirklich Aussergewöhnliches zu bieten: tausende idyllischer Buchten und Ankerplätze laden ein, die meisten direkt vor idyllischen Stränden, was die Entscheidung eigentlich erleichtert, eben nicht die überfüllten Marinas anzulaufen.
Aber die Zeiten haben sich rasant geändert. Ankern ist heute nahezu überall gefährlich geworden, heute gilt: je einsamer desto gefährlicher. Einstige Idyllen sind zu höchst gefährlichen Plätzen mutiert, denn Raub und Überfälle gehören heute zum Alltag aller Segler, kaum einer traut sich noch, seinen Anker in einsamen Buchten zu werfen. Heute wird in der Gruppe gesegelt und geankert, 24 Std VHF Wache gehört zur Regel, die meisten Segler meiden heute die Ankerplätze von gestern und laufen von Marina zu Marina, weil sie sich dort sicherer fühlen.
Peter: Wie steht es um die Sicherheit für einsame Alleinsegler?
Jayme: Man müsste verrückt sein, wenn man heute allein in einer Bucht vor Anker ginge. Noch schlimmer, sein Schiff unbewacht für einen Landausflug sich selbst zu überlassen. Wer heute sein Boot unbewacht in Brasilien sich selbst überlässt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er sein Schiff ggf. nicht mehr wieder findet, wenn er zu seinem Schiff zurückkehrt..
Peter: Wie sieht es mit der Sprache aus? Ist Englisch als Verkehrssprache akzeptiert?
Jayme: Jede Sprache ausser der Landessprache bringt Probleme, wenn man in Brasilien unterwegs sein will. Es fängt beim „capitania dos portos“ schon an, wird nicht leichter bei der „ federal police, customs and aduana“ – nirgend wo in Brasilien wird Englisch gesprochen, man sollte stets seinen „traductor robot“ in der Tasche haben – zudem einen langen Atem, stets genügend Geduld, und auch Geld, aufbringen, und gewappnet sein, dass brasilianische Beamte nahezu regelmässig besondern schlecht gelaunt sind.
Bei Ankunft sowie bei Ausklarieren können die unvermeidlichen Behördengänge gut und gern jeweils zwei Tage dauern. Kein Aushängeschild für Landes Besucher. Eine freundliche Einladung sieht anders aus!
Peter: Ist Brasilien heute noch sicher?
Jayme: Deutlich nein! Mein Ratschlag, bitte sorgfältig darüber nachdenken, bevor man sich entschliesst, mein Heimatland zu besuchen. Ich rate es nicht einmal meinen Freunden. Wer 2000 SM gesegelt ist, um Brasilien zu besuchen, sollte wissen und verinnerlichen, dass ihm von den Behörden lediglich drei Monate Zeit gegeben wird für den Besuch! Fast ein Treppenwitz für ein Land dieser Grösse und Küstenlinie!
Peter: Warum Ist Europa heute Dein neues Traumziel?
Jayme: Vor allem wegen die hier erheblich besseren Sicherheit. Es gibt hier wundervolle Küsten, interessante Hinterländer, bezaubernde Städte und Dörfer … und professionell produzierte Yachten von guter Qualität zu günstigen Preisen. Ich finde hier eine Unzahl moderner Marinas, wenn ich nicht mehr ankern will, finde jede Menge Marine Shops mit riesigem Sortiment, finde professionellen Service jeder Art, wenn einmal ein Defekt auftritt, Travel Lifts jeder Grösse, und zudem Menschen, mit denen ich jederzeit sprechen kann, weil Englisch überall verstanden und gesprochen wird. Für mich als Brasilianer ein besonderes Weltwunder: keine Bürokratie für Segler, Kontakte mit den Zoll- und oder Hafenbehörden verlaufen freundlich und professionell, bringen den Blutdruck niemals in Wallung.
Peter: Vergleiche mal Deine Erfahrungen in den unterschiedlichen Ländern
Jayme: Mein Lieblings Revier heisst all around the Baltic, hier finden wir alles, was unser Herz begehrt: viele interessante Länder, vor allem das für uns bislang unbekannte Skandinavien, wundervolle Ankerbuchten, Sicherheit, günstige Preise, besonders für einen brasilianischen Pfennig Fuchser wie ich es bin.
Auch Holland gefällt uns enorm, dort vor allem die vielen kleinen Städte, in denen die moderne Zeit scheinbar angehalten hat, rund ums Ijssel- und Markermeer.
Wir machen einen Bogen um die Marinas an der französischen Atlantik Küste, weil uns die Preise erschrecken, obwohl uns Liegeplätze und Service Angebot so sehr gefallen. Aber für einen Mann, dessen finanzielles Lebensarbeitsergebnis der brasilianischen Inflation unterworfen ist, erzeugen die Preise in Frankreich schon mal Schluckbeschwerden.
Wir haben die Bretagne kennen und lieben gelernt, ihre wundervollen Landschaften, faszinierende Segelgebiete, Freundlichkeit selbst Menschen gegenüber, die nicht perfekt en Francais zu parlieren in der Lage sind.
Die Iberische Halbinsel hat unser Herz gefangen, in den „Rias“ von Spanien könnten wir bis zum Ende unserer Tage unsere Zeit verbringen, wenn unsere Heimatwährung nicht unter Schwindsucht leiden würde.
Portugal besitzt wundervolle Küsten und die Algarve ist zu unserem Himmel auf Erden geworden.
Im Mittelmeer wurde für uns die Maschine ein wenig zu wichtig, unser Ding ist eher das lautlose Segeln, weshalb wir dort wieder umgekehrt sind.
Und für die Kanaren benötigt man ein extra Leben, um diese Inseln wirklich kennen zu lernen.
Peter: Ist Europa heute für Dich zum Traum Ziel geworden? Warum?
Jayme: Ja, Europa steht für uns im Fokus, weil es so enorm viele Möglichkeiten gibt, nahezu alle Ziele sind sicher, jedenfalls aus der Sicht eines Brasilianers, der dies Wort ein wenig anders definiert. Vor allem: hier begegnen wir sehr viel seltener unfreundlichen und unhöflichen Menschen, für uns der Inbegriff von Unzufriedenheit, die in unserer Heimat an jedem Fleck so überdeutlich zu spüren ist.
Ja natürlich ist Europa an einigen Plätzen auch schon mal kalt, oder gar weiss übergepudert, aber, wer die Plätze gesehen hat, an denen nicht einmal die Nacht existiert, wird sich umso mehr über die Tage freuen, wenn sie ihn wieder warm begrüssen.
Zusammenfassend haben wir unser Leben in Europa lieben gelernt, weil es so völlig anders als in unserer Heimat ist, wo uns nicht einmal eine Waffe in der Koje zum ruhigen Schlaf verhilft, wenn der falsche Mann unter Drogen das Schott aufreisst um dann vielleicht nicht nur nach dem Weg zu fragen.
Um sich genauer über Brasilien zu informieren, hilft ein Besuch bei www.noonsite.com dort sind unter Report Brazil sämtliche Einzelheiten nachzulesen.
Peter Foerthmann und Jayme Souza im Mai 2016