Weltumsegelung

HEIMKEHR UND DANN
Die letzten Meilen verfliegen immer im Gallopp, Willkommensfreude auf den Kreis der Lieben, der Bekannten und Verwandten, sogar der alten Tanten, die sonst nicht zum Hafen wanken. Glückseligkeit hier und dort, feuchte Augen sowieso, viel gewunken und Flaschen aufgeploppt, sie zur Neige ausgetrunken, sich Besuche angelegentlich zugesichert.

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Kurz, Familienleben, ja sogar Harmonie, kurzzeitig im Ausnahmemodus, fernab von Hauen oder Stechen, weil man lang Vermisste endlich wieder ins Sozialgefüge einzubauen hat und die Neuankömmlinge ihren langersehnten Platz neu finden oder den alten zu entstauben haben. Hoffnungen und Erwartungen treffen Sehnsüchte, Wünsche auf Vorwürfe, weil man es dereinst gewagt, sich zu entziehen und darum sich nun gefälligst einzufügen hat. Ein Prozess, der nur in gegenseitigem Respekt und Würde zu bestehen ist, weil ansonsten hier oder dort Seelen ramponiert und Enttäuschungen artikuliert, weil niemand gern verliert, was er als angenehm empfunden hat. Merke, eine Seereise kann eine Zäsur im Sozialgefüge hinterlassen, wobei alte Rechnungen nach der Rückkehr allzu gern präsentiert. Denn, nicht wahr: Familienmitglieder sind Menschen, die zwar gern zu einer Party kommen, ansonsten nicht zwangsläufig Freunde sind – allen Wohlfühladressen medialer Zwangs Berieselung zum Trotz.

Irgendwann ist die Willkommenparty dann zu Ende, jeder strebt zur heimischen Chaiselongue, das angesichts offenkundiger Enge an Bord der lieben Freunde oder Verwandten, plötzlich im Wolkenschloss zu stehen scheint. Es liegt im Wesen menschlicher Existenz, sich die eigene Wenigkeit stets optimal zu relativieren, selbst wenn zuhause der feuchte Wind durch die kalte Bude fegt.

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Die letzte Nacht an Bord, danach wird freudig leergeräumt, die Klamotten auf der Schott´schen Karre oder im zu kleinen Auto transportiert. Es folgt – TRARA! – die Lebenswende, die Stunde Null, die Segler wieder mit der Heimat vereinen soll. Je nach gefühlter oder realer Grosswetterlage, der Kenntnis der Gegebenheiten, die den Segler an Land erwarten, die finale Erfüllung vergangener Sehnsüchte – oder der Start in unbekanntes Territorium. The morning after the night before kann zum Schock geraten, jedenfalls für Menschen, die sich mental zu wenig präpariert. Ein enormer Vorteil, wer bereits über eigene Wände verfügt und nur sein Seglergedöhns im Keller, auf dem Boden oder unterm Sofa zu drapieren hat, ansonsten nur zu Lüften, zu Entstauben und ggf. zu Heizen hat. Denn, nicht wahr, wer wieder bei Null anzufangen hat, besitzt im Herzen noch kein Zuhause, weil er dies erst finden und mühsam mit Leben füllen muss, eine zeitraubende Mechanik, bei der mancher die Lust verliert, weil zwischen zwei Stühlen nur harter Boden ist – zudem das Boot immer noch klar zur nächsten Reise an den Leinen zieht.

Denn, was kommt dann? Es ist der Sinn dieser Zeilen, humorvoll – keinesfalls sarkastisch – zu beleuchten, bzw zu untersuchen, welche Faktoren einer Lebensgemengelange unverhofft Wichtigkeit erlangen, die man vielleicht kaum bedacht, oder die man verdrängt, weil man sich für den Tag danach, kaum detaillierte Gedanken gemacht, weil auf See ganz andere Dinge im Mittelpunkt gestanden haben.

Ohne hier zu generalisieren, oder Unvergleichbares miteinander zu vergleichen, so gilt es zunächst, zu differenzieren, ob die Weltumsegelung inmitten oder am Ende der beruflichen Karriere erfolgt, wobei der Zeitfaktor – also die Länge der Reise – natürlich eine prägnante Rolle spielt.

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AKTION UND REAKTION
Ursachen, Auswirkungen und ggf Folgen der Entscheidung zur grossen Reise könnten unterschiedlicher nicht geraten, zumal wenn an derartigen Entscheidungen das Wohl einer ganzen Familie hängt. In einer Zeit zunehmender beruflicher Unsicherheiten, werden ggf. Weichen falsch gestellt, wenn Eltern aus ganz egoistischen – gleichwohl sicher verständlichen – Gründen, eine berufliche Karriere aufgeben, die sie später nie mehr zu erreichen in der Lage sind – also früh im Leben. Die Entscheidungshoheit für den Kurs des eigenen Lebensschiffs bleibt der jeweiligen Risikoeinschätzung betroffener Menschen überlassen, wobei eine Fehleinschätzung heute – im Gegensatz zur Vergangeheit – durchaus schwerwiegende Folgen für den weiteren Lebensverlauf haben kann, wenn nämlich der Wiedereinstieg nicht gelingt – wofür es zunehmend häufig Beispiele gibt. Der Kampf am Arbeitsplatz, steigende Anforderungen an den Bildungsstand sowie eine lückenlos positive Legende beruflicher Aktivitäten werden durch eine „Pausenzeit“ nicht immer positiv vermerkt. Hier haben Spezialisten, deren Expertise am Markt – oder gar beim bisherigen Arbeitgeber – nachhaltig gefragt, eindeutig Vorteile, wenn sie nahtlos an den früheren Arbeitsplatz retournieren können. Noch besser natürlich, wer sein Leben auf Selbstständigkeit gebaut und seine Anknüpfungspunkte sorgsam behütet hat, sodass ein Wiedereinstieg dann möglich ist.

Eine Weltumsegelung als Sabbatical ist kaum zu realisieren, sodass die Einschnitte in eine berufliche Karriere zwangläufig grösser sind.

Für Kids ist eine Weltumsegelung ein Privileg und zudem ein solider Lebensbaustein, weil sie gegenüber Alterskameraden einen besseren Blick auf die Welt bekommen, zudem sprachlich gelenkiger kommunizieren können, angstfreier Neuem gegenüber aufgeschlossen sind – lebenstüchtiger in jedem Fall – selbstbewusster und selbstständiger sowieso, was sie für den weiteren Lebensweg erheblich besser wappnet.

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DAS SOZIALE NETZ
Segler als Weltenbummler besitzen im sozialen Netz von Familien und Freunden eine Sonderstellung, weil ihr Entschluss zum Start einer Zäsur gleichkommt, die weder mit List, noch Tücke zu beeinflussen ist. Stunde der Wahrheit in Familienstrukturen, die offenlegt, wie weit man einander wirklich respektiert, oder unabhängig von den jeweiligen Beweggründen, seine eigenen Wünsche und Erwartungen entsprechend korrigiert.

Der Entschluss von Eltern, ihre erwachsenen Kinder nach Aufzucht, Schule, Ausbildung und Studium, final in die Eigenständigkeit zu entlassen, gar zu schubsen, dokumentiert sinnbildlich, dass es eben auch ein Leben nach den grossen Lebensaufgaben gibt. Für manche Kids ein Schock der besonderen Art, weil sie sich ihre Eltern so ganz praktisch zur eigenen Lebenserleichterung erzogen zu haben glaubten. Auch in Familien gilt das Gesetz der Ellenbogen und mir sind einige Fälle bekannt, wo der Start zur grossen Reise wie eine Flucht gewirkt, weil man das Band zur Familie mit aller Kraft durchschneiden musste, heilsam für beide Seiten, mit manchmal unvorhersehbaren Folgen.

Auch wenn an dieser Stelle überall reflex- oder gebetsmühlenartig gern Gemeinplätze von der heiligen, vor allem heilen, Familie repetiert, offenbart die Realität in vielen Familien, wie schwer es ist, positiven Zusammenhalt vorzuleben und einer nachfolgenden Generation charakterlich zu implementieren, um selbst mit „heiler Haut und heiler Seele“ dem Hexenkessel familiärer Kriegsschauplätze zu entkommen. Denn spätestens, wenn es um die Erhaltung oder Weitergabe von Vermögensgegenständen – Wohnungen und Häuser eingeschlossen – geht, offenbaren sich manchmal Abgründe, wie es um die Realität familiärer Zusammenhalte tatsächlich steht. Angeheiratete Schwiegerkinder können dabei schon mal zur Tellermine werden, wenn vermeintliche Ansprüche nicht erwartungsgemäss bedient. Es soll Familien gegeben haben, in denen Eltern vorgeworfen wurde, dass sie das finanzielle Lebensergebnis wagten, ohne Rücksprache mit der Erbengemeinschaft, selbst zu verleben – bzw. zu ver-segeln.

So gibt es kaum eine bessere Zäsur im Leben, als die Entscheidung von Eltern, sich deutlich sichtbar ihren ganz eigenen Interessen zuzuwenden: einer Segelreise, egal, wie lange sie dauern wird. Eine Stunde der Wahrheit für jede Familie.

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DAS BAND ZUR HEIMAT
Allen kommunikativen Zaubertricks zum Trotz, das Band zur Heimat wird dünner, je länger eine Reise dauert. Vielfach bleibt am Ende nur die eigene Familie, wobei auch dort das Leben weitergeht und die räumliche Distanz zu Seglern in einem anderen Orbit, Spuren hinterläßt. Es liegt im Wesen eines eingespielten Umgangs zwischen den Generationen, dass Vorwürfe der besonderen Art – feinsinnig verpackt – ihre Empfänger nie verfehlen. Der Gegenpart von Vorwürfen ist als schlechtes Gewissen unser aller ständiger Lebensbegleiter. Mit räumlicher Distanz werden diese Pfeile ungleich wirksamer, die manchmal nur mit der Axt zu entschärfen sind. Es liegt im Wesen menschlichen Älterwerdens, dass der Dauerbeschuss mit Vorwürfen jeder Art, am Ende fast jeden einholt, der hier nicht deutlich eine Demarkationslinie zu errichten in der Lage ist. Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt, ein Lebensgrundsatz, dem wir alle unterworfen sind. Dauerhaft schlechtes Gewissen tut keinem gut, am wenigsten solchen Menschen, die vermeintlich ihr Allerbestes gegeben – und im Alter festzustellen haben, dass sie offenbar nicht gut genug gewesen sind, um den Vorwürfen unzufriedener Nachfahren – zu entrinnen. Denn Schuld im Wortsinne hat stets der Andere, man muss ihn nur verorten und fixieren, und hoffen, dass er sich dann nicht mehr wehrt – Menschen können schon grausam sein, wenn sie ausser Ich und Mich nichts mehr zu erkennen in der Lage sind.

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TRENNUNG ALS KATALYSATOR
Trennungen kristallisieren das Wesentliche – eliminieren Unwichtiges, das von allein verschwimmt. Manch ein Segler hat nach der Heimkehr festgestellt, dass er sich mit früheren Freunden nicht mehr viel zu Sagen hat, wobei die Frage erlaubt sei, ob es denn früher anders gewesen ist. Eine Segelreise als Lebenskatalysator? Durchaus denkbar.

Ich habe Segler kennengelernt, deren Aussenkontakte sich zunehmend einschränkten, die am Ende nur noch mit engsten Familienangehörigen in Kontakt geblieben sind, auch wenn sie selbst dort fast zu Outlaws geworden sind.

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FREUNDE
Selbst der Kontakt zu Freunden aus alter Zeit unterliegt Veränderungen, die durchaus damit zu erklären sind, dass Daheimgebliebene naturgemäss Neidgefühle entwickeln oder kultivieren, weil sie Vergleichbares nicht haben erleben dürfen, zudem Heimkehrer nahezu regelmässig vom Erlebten selbst ergriffen sind und das Bedürfnis haben, ausgiebig – oder gar überhöht? – zu berichten, was nicht jedem gefallen mag, weil sich mancher dabei kleiner fühlt.

Es ist zu beobachten, dass vielfach heimgekehrte Segler in ihrem weiteren Leben den Kontakt zu anderen weitgereisten Seglern kultivieren, weil sie dann gemeinsame Erlebnisse ausgiebiger – ungestörter? – erörtern können und quasi auf Augenhöhe mehr Verständnis finden, als mit Menschen, deren Lebensrahmen dauerhaft ein anderer gewesen ist. Gegenseitige Besuche allerdings werden manches Mal zu schwierigem Terrain, weil es einige segelnde Zeitgenossen gibt, die es als kurzweiligen Zeitvertreib betrachten, ihre alten „Freunde“ zwangsweise – heim – zu be-suchen, Besucherzimmer zu beleben und ungern wieder gehen. Vergleichsweise waren Besuche an Bord weniger verbindlich, weil das eigene Schneckenhaus unweit am eigenen Anker gedreht. Besuch an Land findet mitten im eigenen Leben statt, inkl. der Benutzung von Toilette, Wohn- und Schlafzimmer, samt aller Nebengeräusche und Gerüche. Wieviel Ehrlichkeit verträgt da der Mensch? Meine Frau hat hier einen praktischen Terminus erfunden: Fisch und Besuch beginnen nach drei Stunden, Duft zu verbreiten, die eigene Freiheit erfährt Einschränkungen und aufmerksame Neugierde beginnt einzuschlafen, zumindest, wenn Besucher wenig sensibel sind. Wenn man sich traut, seine Meinung authentisch zu äussern, ist gegenseitiger Respekt schnell hergestellt, zumal man ansonsten unnötig länger leidet.

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FAZIT
Bleibt zum Schluss die Feststellung, dass Partner, die eine Weltumsegelung durchgestanden haben, für gemeinsame weitere Lebensherausforderungen bestens gewappnet sind, denn wer den Anforderungen auf See die Stirn geboten hast, wird sich an Land kaum noch unterkriegen lassen.

Der Kern jeder Weltumsegelung ist eine intensive Zeit zu Zweit, die zusammen schweisst, die jedoch gegenüber den Verbliebenen an Land ein wenig distanziert, zudem der Neid überall nagt, weil man auf See einen anderen Blick auf die Welt erhält, was zuhause nicht jedem gefällt.

Man kann es eben nicht allen Recht machen, aber, wenn es gelingt, mit dem eigenen Leben zufrieden zu sein, ist ein schöner Teil des Lebens wunderbar geregelt …

meint
Peter Foerthmann

Eine Antwort zu Weltumsegelung

  1. Nebst vielen interessanten Aussagen und Beschreibungen sind es die zwei wichtigen Sätze, die wir selbst so erlebt haben und weiter leben werden:

    „Allen kommunikativen Zaubertricks zum Trotz, das Band zur Heimat wird dünner, je länger eine Reise dauert“ – Aber auch das ist richtig; es bilden sich neue „Bänder“ zu Neuem und hilft, das Alte in neuem Licht zu werten. Und der Faktor Zei ist ein gutes Regulativ.

    „Trennungen kristallisieren das Wesentliche – eliminieren Unwichtiges, das von allein verschwimmt“. Und das ist sogar unsere Lebensphilosophie geworden. Keine weiteren Worte dazu nötig!

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