SCHLÜSSELERLEBNIS VENDÉE GLOBE
Les Sables liegt nicht bei Hamburg um die Ecke! Das ist eine Binse! Allerdings ist dieser Ort heute schon in vierzehn Autobahn Stunden auf dampfendem Hosenboden zu erreichen, zumindest, wenn man Paris schlau bei Nacht passiert, denn tagsüber kann man auf der Péripherique über stehende Autos spazieren gehen! Vor 30 Jahren habe ich immerhin zwei volle Tage im französischen Strassen Labyrinth zugebracht, weil die EU damals noch nicht durchgängig asphaltiert und Tom Tom noch nicht auf der Welt gewesen ist. Mit Papierkarte auf dem Schoss, wurde mancher Umweg zum Abenteuer, bevor man endlich das Blechschild zum Mekka französischer Segler vor der Nase hatte. Einem Mekka, das damals noch gar nicht existierte.
Ich hatte Fährte aufgenommen, weil mein ungarischer Freund Nandor Fa mich damals inspirierte, doch einmal vor Ort zu prüfen, ob ich bei jenen Schiffen nicht mein Glück versuchen – und mitspielen wollte. Nandor hatte mich angespitzt und ich war generalneugierig, hatte im November ohnehin Langeweile, bin also meiner langen Nase gefolgt – und losgefahren!
Grauer Novembertag, eiskalt, Wind und Regen horizontal, ich beschloss, erstmal ein Hotel zu nehmen! Doch Hoppla, was war denn das? Jedes Hotel, jede Pension, ob Einzelzimmer oder nicht, war „ complet“, ausgebucht, belegt, kein Bett für Peter. Nach stundenlanger Suche rollte ich im Dunkeln an den Strand von Les Sables, um dort, vollkommen übermüdet, zur Musik des brummenden Motors einzuschlafen. Morgens dann der kollossale Schreck: ich war umgeben von unzähligen Karrossen, die die gleichen Probleme hatten. Eine kalte Veranstaltung, offenbar war Knete überall knapp, was am Zustand des französischen Blechs abzulesen gewesen ist. Immerhin fuhr ich damals komfortables „Blech“, einen Espace, der von Flugzeugbauer Matra in GFK gefertigt worden ist, also gar nicht rosten konnte. Un Allemand dans une voiture Francaise – respectable!
Aufregende Tage rund um die rasenden 18 Athleten und ihre fliegenden Kisten, damals alle noch vergleichsweise schlank, ohne die vielen krakengleiche Extremitäten über und unter Wasser, die das Anlegen heute verkomplizieren, allerdings wurden schon damals die Vendée Piloten zum Start geschleppt oder geschubst, sodann in die Weiten der Biscaya ausgespuckt. Hunderte von Begleitbooten, staubig weisses Wasser, alles im Fokus der rasender Reporter in offenen Helikoptern, oder festgeklammert auf springenden Powerbooten. Für einen Deutschen eine vollkommen verdrehte Welt.
Titouan Lamazou Ecureuil d’Aquitaine II war nach 109 Tagen wieder da. Patrice Carpentier mit seiner Le Nouvel Observateur, an deren Heck meine Heckverzierung angeschraubt gewesen ist, hat das Rennen, wie sechs weitere Segelheroen, vorzeitig aufgegeben. Mit Patrice war damals vereinbart, dass sein Windpilot allenfalls bei konstanten Winden und Speed würde verwendet werden können. Meine Hosen waren jedenfalls bis oben gestrichen voll, weil mir recht schnell klar geworden ist, dass ein Windsteuersystem solch fliegende Kisten bei wechselnden Verhältnissen nicht würde auf Kurs halten können. Denn, nicht wahr, wie sollte eine arme Windfahne wohl differenzieren, ob ein Schiff langsam bei wenig Wind, oder aber rasend schnell bei Gleitfahrt unterwegs, wenn der Winkel zum scheinbaren Wind in beiden Situationen identisch ist?
Mit meinem Wissen von heute, hätte ich damals nach den ersten Vendée Versuchen die Sache auf sich beruhen lassen sollen. Aber so schlau war ich damals noch nicht, zumal ich Nandor Fa und Jose Ugarte mein Wort gegeben hatte, beider Schiffe im dann folgenden Rennen auszurüsten. Nandor habe ich später zum Segeln in der Adria auf der Insel Krk besucht. Zudem hat es einige abenteuerlichen Besuche in Hamburg und in Székesfehérvár / Ungarn gegeben, um Bauteile für die Kanting Keel Mechanik zu liefern, Material, das in Ungarn nicht erhältlich gewesen ist. Den stolzen Katalanen Jose Ugarte habe ich in Bilbao aufgesucht, um hands on Unterstützung an Bord zu leisten. Freundschaftsdienste – weil man zu seinem Wort gestanden hat! Freundschaftsdienste gegen Erfahrungen, ein fairer Deal so jedenfalls habe ich dies damals empfunden – und sehe es heute ein wenig anders.
Es ist der Professionalität der drei Skipper geschuldet, dass für beide Seiten keinerlei Schaden entstanden ist, denn wir waren uns schnell einig, dass Schiffe dieser Art keineswegs von einer mechanischen Windsteueranlage zuverlässig zu steuern waren. Jedenfalls sind alle Masten stehen geblieben … und somit keine moralische Schuld auf meine Schultern geladen worden. Ach ja, es wurden bei nahezu sämtlichen Schiffen ganze Paletten voller Ersatz Autopiloten an Bord verstaut. Ich habe heute noch in Erinnerung, dass Raymarine – damals noch unter das Marke Autohelm – vermutlich für den hardcore Betrieb die sog. GP Serie aufgelegt hatte, Systeme, bei denen die Getriebebauteile anstatt in Kunststoff in Messing gefertigt waren … um den harten Belastungen ein wenig länger standhalten zu können? Jedenfalls wurde verschiedentlich überliefert, dass die Autopiloten serienweise ans Ende ihrer Leistungsfähigkeit geraten sind … Als Erfolg galt, wenn bei Ankunft im Zielhafen zumindest noch ein System betriebsbereit gewesen ist. Die Vendée als Roadtest, wurde schnell zur Messlatte für Ausrüster, die bereit und in der Lage gewesen sind, sich den Anforderungen – und Risiken! – zu stellen.
Immerhin waren meine Ausflüge nach Les Sables für mich ausgesprochen lehrreich, da sie mich meine Grenzen in Bezug auf Verwendung und Einsetzbarkeit mechanischer Steuersklaven … deutlich haben erkennen lassen. In meinen Büchern aus den Jahren 1996 – 1998 – sowie 2004 habe ich meine Erfahrungen niedergeschrieben. Hexen und Blaufärben können Windsteuersysteme bis heute nicht.
Natürlich ist es verlockend, die Professionalität der Vendée Skipper mit meinen Erfahrungen im Golden Globe Race 2018 zu vergleichen, die bei einigen Skippern offenbar nicht im Ansatz vorhanden gewesen sind, nicht zu reden von einem Organisator, der unfähig und unwillig gewesen ist, eine ausgewogenen Berichterstattung über den Rennverlauf zu gewährleisten. Erfahrungen, die nachzulesen sind:
Ich verfolge die Entwicklungen der IMOCA Class zunehmend mit angehaltenem Atem, nehme zur Kenntnis, welch abenteuerliche technischen Entwicklungen möglich gewesen sind, um das Rennen immer weiter zu beschleunigen! Ich weiss natürlich, dass der Druck von gewaltigen Sponsoren Etats hier die Peitsche knallt, weil ansonsten die Aufmerksamkeitsspanne der hier servil zuarbeitenden Medien Meute unvermittelt abreissen könnte. Es gilt immerhin, eine Marke möglichst breit unters Volk zu streuen, zumal heute Parameter existieren, die detaillierte Kennziffern über Zielgruppen zu analysieren in der Lage sind. Kim Kardashian lässt grüssen, wenngleich in einer vollkommen anderen Zielgruppe. Was einzig zählt, sind Augenpaare mit angeschlossenen Synapsen, die im Schulterschluss zu Bezahlsystemen willfährige Homunkuli reizen, das zu tun, was sie als Konsumenten auszeichnet: kaufen, egal ob Baustoffe, Versicherungen, Autos, Bekleidung, Lebensmittel und Getränke oder Online Service Angebote. Die erhoffte Teilhabe an einem zugkräftigen Namen läßt Bäume in den Himmel wachsen, zumal jeder gesponserte Euro als Betriebsausgabe abzusetzen ist.
Dem Grunde nach ist die Spanne zwischen Start und Ziel stets zu lang, weil die Aufmerksamkeit eines so sehr geschätzten Publikums zu leiden beginnt, wenn nicht in steter Regelmässigkeit Attraktionen wie Bruch, Kollisionen, Aufgabe oder Untergang über den Rennverlauf berichtet werden – können. Der Begriff Roulette Francaise ist vor vielen Jahren in meinem Kopf entstanden, wobei insbesondere die neuesten Entwicklungen, Anlass zu Sorgen bereiten können, weil die Welt zwischenzeitlich eine andere geworden ist, weil in Pandemie Zeiten kein Stein mehr auf dem anderen geblieben ist. Sicherlich plagen auch die hier in der Pflicht stehenden Sponsoren Sorgen der ganz anderen Art, weil bislang unbekannte Hiobsbotschaften von allen Seiten ins Geschehen drängen. Ob dies ein Überdenken bisheriger Strategien ggf. erforderlich machen könnte, vermag ich nicht zu beurteilen. Vorstellbar immerhin, dass das gewaltige Interesse der französischen Öffentlichkeit, das in Les Sables bislang vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu erkennen gewesen ist, angesichts weltweiter Lockdown Vorgaben, auch bei den stillen Beobachtern vor den heimischen Schirmen Aufmerksamkeitsverluste nach sich gezogen hat. Bare Geldverluste für Sponsoren, die Marken mit grossartigen Segelbildern sublimieren bzw. verknüpfen und in Köpfen verankern möchten.
Die Vendée hat ihren Ruf als härtestes Seerennen durch eine ungeheure Menge an Schäden, Bruch, Untergängen manifestiert, sogar Todesopfer waren zu beklagen. Natürlich kann man einem Publikum die Geschichte ganz anders erzählen, kann Erfahrungen und Leidensbereitschaft aller beteiligter nationaler Skipper, ja sogar deren Wagemut samt homestory in den Fokus nehmen und ausgiebig darüber berichten, kann bewundern, welch technische Möglichkeiten und Tricks aufgewendet werden, Schiffe nochmals zu beschleunigen – und damit den Spannungsbogen halten. Die Latte liegt derzeit bei ca 70 – 80 Tagen bis zur Ankunft der ersten Schiffe in Les Sables. Allerdings idealerweise nur, wenn langjährige Wetterusancen – Stichwort rasende Tiefdrucksysteme im Southern Ocean – nicht durch neuartige Flauten Folgen ersetzt, der gewohnten Raserei keine Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Nicht zu reden vom Kollisionslotto mit UFOS oder unartigen Walen, die sich zur falschen Zeit am falschen Platz zum Schlafen legen, wie es 2017 Kito de Pavant geschehen ist.
Solange in den Entscheidungsgremien Sponsoren eine gewichtige Stimme besitzen, wird es vermutlich weitere Entwicklungen geben, die die Spannungslatte nochmals höher legen werden. Für Konstruktionsbüros sind bereits heute gewaltige Rechenleistungen zu bewältigen, um notwendige Materialstärken sowie Aussteifungen zu berechnen, ein insgesamt kaum beherrschbares Kunststück namhafter Büros, bei denen der Bruch zur Messlatte geworden scheint, der vorzugsweise erst nach dem Zieldurchgang erfolgen möge. Bei 2 mm Wandstärke im Bereich der Bordwand über Wasser ist man bereits angekommen, kleinflächige Carbon Honeycomb Aussteifungen sind heute die Regel, wie Alex Thomson kürzlich seiner verdutzten Kamera vorgeführt hat. Die Grenze scheint erreicht, was der spektakuläre Untergang der PRB von Kevin Escoffier belegen mag, die innerhalb weniger Minuten kollabierte und gesunken ist. Hydraulische Schwenkeinrichtungen für Kiele, aufwendige Foilsysteme und nicht zuletzt eine überaus komplexe Bedienung dieser Rennmaschinen mögen darauf hinweisen, dass die Grenze vielleicht sogar bereits überschritten wurde. Ein in toto komplexer Rennapparat, der vorzugsweise fast ohne Schlaf, von einsamen Segelakrobaten, zwischendurch Astronautennahrung aus Tüten löffelnd, allzeit optimal zu bedienen ist. Eine Herkulesaufgabe!
Allerdings denkt man neuerdings offenbar darüber nach, ob variable „Tiefenruder“ die Schiffe besser kontrollierbar machen könnten … nicht zu reden von schalldichten Schlafboxen für die Matadore für schnellen Kurzschlaf zwischendurch.
Es wird also weitergehen, egal, was noch passiert, denn bislang ist keiner der Athleten im Geisterhafen angekommen, wo der Lockdown immer noch sein strenges Regiment führt. Eine Szenerie, die nachdenklich machen kann, bei der sich am Ende vermutlich alle Augen auf die Sponsoren richten werden, ob sie weiterhin gigantische Etats aufzubringen bereit sein werden, oder nicht.
Wann immer ich an Boris Herrmann denke, beschleicht mich die ungeklärte Frage, was diesen sympathischen jungen Mann wohl bewegt haben mag, in diesem Pokerspiel mit hohem Einsatz an den Start zu gehen? Ohne sogleich ins Horn nationaler Überheblichkeiten zu tröten, kommt mir immer wieder der Gedanke, ob es sich hier wohl vielleicht um die Aufarbeitung eines frühkindlichen Traumas handeln könnte, weil der Mann jahrelang durch seinen Vater Moritz zum Segeln in Zeitlupe verdonnert gewesen ist?
Denn als Rennfahrzeug ist eine Reinke Super Secura bislang wirklich nicht aufgefallen! Aber ob ich damit nun eine Erklärung gefunden habe? Immerhin, hatte der junge Mann bereits Erfahrungen mit Klapprudern der besonderen Art…
sinniert …
Peter Foerthmann
12.01.2021
Die Bedeutung für die maritime Seele der französischen Nation lässt sich schon daran ablesen, dass der sonst so stringente Präsident Macron die Corona-Restriktionen für die Ankunft dieses Rennens AUFGEHOBEN hat. „Il s’agit d’un événement d’importance nationale!“
Das zeigt einerseits den Stellenwert der Seglerszene in Frankreich, aber auch die Wankelmütigkeit der Politik, wenn es um regionale Lobbyarbeit geht. Erstaunlich nicht wahr ? In Merkels-Laden undenkbar, das Gesicht verlieren? neee… das geht gar nicht.
wenn man der Medienauswertung glauben mag hat Alex.T. trotz Abbruch der Mission
196 Mio an Werbeminuten für Hugo Boss eingespielt.
Da ist die finanzierte Campange nur Kleingeld, Boris H. macht Medial gesehen einen sehr guten Job, keiner der Akteure sendet so viele Videos. Ich denke um Sponsoren für das nächste Vendee muß er sich keine Gedanken mehr machen…
Die Veende ist die Formel 1 auf dem Wasser, und die Boote alle samt Versuchsträger.
Alte Konstruktionen aufzufrischen kann da schnell nach hinten losgehen,
grüße Sven
Also eigentlich haben die alten Boote sich sehr gut geschlagen