WORK AND TRAVEL IN FEUCHTGEBIETEN
Am Nachbartisch im kleinen Café, wo wir die lang ersehnte Pause einlegen, sitzen drei Männer. Zwei dunkelhäutige Einheimische, der eine deutlich jünger, als der andere dümmlich und ein Weißer, mit hängenden Schultern und Zahnlücke. Auf der Fläche zwischen den dreien ein blendend weißes Tuch mit geschätzten drei Kilo schwarzen Perlen drauf. Dem Volumen zweier Packungen Weißmehl entsprechen sie allemal. Die Bedienung, wir, die beiläufigen Kunden, alle starren diesen Haufen Wohlstands-Versprechen an. Die Straße hoch und runter unter der verfallenen Kolonnade, die Markthalle mit den bepissten Ecken, die gehobene Uferstraße, alle sind übersät mit kleinen und größeren Geschäften, in denen Perlen ihren Besitzer wechseln, aber hier im Café, zwischen den Sahnetorten und dem Blätterteig fühlt es sich an wie im Esszimmer von Scrooge.
Der jüngere, tätowierte Polynesier mit den schwarzen Fersen an abgenutzten Badelatschen hat ein Jahr lang gearbeitet. Er, sein Bruder, sein Schwager, dessen Schwester und ihr Vater haben die Perlenfarm, irgendwo in den Tuamotus beackert und gemolken. Bei rasierendem Maramu, bei glühender Sonne, hat er sein teures Bier ausgeschwitzt, und hofft jetzt endlich anderes als Hundefleisch essen zu dürfen.
Sein plumper Vermittler, braun-schwarz und seit Generationen im Geschäft, seine violetten, aufgedunsenen Knöchel und verrauchte Lunge anstrengend, arbeitet ununterbrochen mit Honigstimme auf seine Provision hin.
Die bleiche Hänge-Schulter ist Ex-perte. Ich habe mich schon immer gefragt was ein „Perte“ ist, dass man davon auch in Rente profitieren kann, aber er hat meine Spielerei nicht nötig. Seine Finger arbeiten sehr geschickt. Schnell entstehen auf dem weißen Tuch drei Haufen, unterschiedlicher Größe, Glanz und Farbe und der Kalkulator ermittelt sofort einen Mittelwert fürs Ganze….
Handschlag. Fertig! Drei Leute haben gerade gearbeitet.
Ja, die Orts-spezifische Arbeit gibt es überall.
Nicht für uns Reisende. Madame Unterwegs-sein nimmt einem sein Ganzes in Anspruch. Das Boot den Rest. Wir für unseren Teil haben uns auf den Weg gemacht, weil wir nicht annehmen wollten, dass die Südsee, oder wie alle anderen Traumziele heißen, nur den „Privilegierten“ vorbehalten sind. Dass die Welt in der wir leben so weit gekrümmt worden ist, dass Everest nur auf eine Zahl, auf den Preis für die Teilnahme an der nächsten Schlepp-Expedition, geschrumpft ist. Weil Moitessier nie für einen Hafen bezahlt hat, geschweige eine Marina. Warum sollten wir? Die Sonne, der Sand, die Luft, der Regen, das Meer – müssen wir mittlerweile auch dafür bezahlen?
Doch, man muss schon für seine Reise selber aufkommen.Und so sieht es mit mir auf diesem Gebiet aus: Ich kann schweißen, spleißen, schneidern und nähen, auch Segel, tischlern und schnitzen, einen mittleren Motor auseinander nehmen und wieder gesund zusammen bauen, die Spule einer Quarzuhr auf einen Zahnstocher aufwickeln oder ein SSB-Radio zum Senden und Empfangen überzeugen. Ich kann drei Instrumente spielen, in sechs Sprachen kommunizieren und Leute mit diesen Fähigkeiten zum Lachen bringen. Ich bin kräftig gebaut und kann sogar einen ganzen Tag lang in der Nase bohren. Wenn ich was nicht kann, weiß ich wo ich nachlesen muss. Bevor ich etwas kaufe, schaue ich im Müll nach, denn irgendetwas anderes wird sich meistens für meinen Zweck improvisieren lassen.
Was ich nicht sehr gut kann ist lächeln, wenn mein „Kunde“ seinen Außenborder schon vor einer Woche im Meer gebadet hat und der Vergaser voller Sand ist, wenn er dies leugnet, damit seine Frau ihn nicht hungern lässt, wenn sie wiederum, den angebotenen Tee als meine Anzahlung ansieht und kurz vor der Ohnmacht steht, einen Tropfen Öl auf dem Teak sehen zu müssen.
Sogar weniger gut kann ich den anderen drei Technikern bei der Charterfirma, die mich gerade angestellt hat, ein Bier spendieren. Sie können eine Holz- von einer Maschinenschraube nicht unterscheiden und das Bier würde nur dem Zweck dienen, dass ich beim nächsten Kunden, mit fehlendem Geschirr das Ankermanöver erklären muss.
In einem fremden Land Arbeit zu suchen, hat mich in die Rolle von Georgos, oder Ahmed unten an der Ecke bei uns versetzt. Leider habe ich mich damals nicht rechtzeitig mit ihnen angefreundet, um von ihrer reichhaltigen Erfahrung zu schöpfen. Diese wäre zum Beispiel:
Zwei sitzen im Paradies und langweilen sich zu Tode – Vögelchen zwitschern, Schmetterlinge flattern, Kühe wagen nicht mal die Fliegen von ihren Ärschen zu verjagen. Plötzlich wird, auf einem großen Plakat vorbei-geflogen, sonder-angeboten, ein Wochenendausflug in die Hölle. Die zwei nehmen begeistert an. Unten – Party ohne Ende, mit was auch immer das Herz begehrt. Ein herrliches, buntes, feuchtes Wochenende. Am Montag, mit dickem Schädel stehen die zwei vor Petrus und bitten um Versetzung. Keine Warnung, dass ihre Entscheidung endgültig ist, kann sie davon abhalten – sie wollen für immer nach unten! So soll es also sein, hop…, und sie sind wieder unten. Da wo gestern Bar war steht Kessel, da wo Puff – auch. Überall Feuer, Hitze und hässliche Teufel mit gelben Augen und krummen Fingern. „Aber…, gestern war hier…, ganz anders!“ beschweren sich die beiden Helden. „Jungs, verwechselt nie Tourismus mit Emigration“ erwidert beiläufig der nächst-stehende Teufel.
Was ich damit sagen will, möchtest Du unterwegs arbeiten, muss Du dich sehr wahrscheinlich mit dem Niederlassen anfreunden. Mit annehmen von Sitten und Bräuchen. Dich einleben. Alle Einheimischen als deine Kollegen und Nachbarn im Leben ansehen, denn ihr würdet dann an der gleichen Zitze nuckeln, oder? Ich bin sicher, Dein Herz wird Dir schon das Richtige zu flüstern.
Vassil, Papeete, 15/16.03.2018