EPILOG – CORONA ALS ZEITENWENDE?
Die Erfahrungen einiger Jahrzehnte haben verdeutlicht, dass eine Weltumsegelung als Mythos für das Kopfkino Alltags geplagter Menschen heute mit den Vorstellungen von unbeschränkter – und unbeschwerter! – Freiheit nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Gone with the wind, sind die Zeiten, in denen wir, mehr oder weniger gut – oder gar nicht! – vorbereitet, frei wie ein Vogel, in See stechen konnten, um dort ein wenig von der Freiheit zu finden und zu atmen, die manch einer an Land so schmerzlich vermisst. Der Plan, dereinst den Hafen zu verlassen, den Verpflichtungen – und Sorgen! – einfach davon zu segeln, war bis dato einem Ventil vergleichbar, das man bei Bedarf öffnen konnte, wenn man den Mut besaß – ein solides Schiff natürlich nicht zu vergessen! – um die Tür ins Abenteuer zu öffnen. Auf los ging´s los, jeder Tag eine neue Überraschung. Aus und vorbei! Ist das der Status quo?

credit Vlado Porvaznik






credit Wolfgang Wappl

credit Gerard Dykstra

credit Douwe Fokkema
Die Welt hat nun den Atem angehalten, weil Atmen plötzlich in den Mittelpunkt allen Lebens geraten ist, eines Lebens, in dem kein Stein mehr auf dem anderen geblieben scheint und wir erschrocken festzustellen haben, wie klein wir am Ende selber sind, Demut eingeschlossen!
Wir schreiben den Juli 2020. Corona hat den eingespielten Kreislauf pulsierender Träume zum Erliegen gebracht. Nichts ist mehr geblieben, wie es einmal war. Aus dem Nebel der Ereignisse der vergangenen Monate, sowie dem Extrakt von Berichten einer Vielzahl von Seglern, sind Entwicklungen und Tendenzen zu erkennen, wie es in der internationalen Cruising Community wohl weiter gehen könnte.
Einen Lockdown Tsunami vergleichbarer Art hat es nie gegeben, kaum wollten wir glauben, daß Wuhan keineswegs nur eine weit entfernte Unheimlichkeit bleiben würde. Die Zeitaufnahme des Stillstands einer unbeschwert um den Globus vagabundierenden Flotte von Seglern, entschied, auf welcher Seite des Glücksrades man festgenagelt wurde. Der gesamte weltweite Segelbetrieb kam zum Erliegen, wenn man die wenigen Ausnahmen ausser acht lässt, dass einige Segler über tausende Meilen fernab von Land einfach weiter ihrem Ziel entgegen gesegelt sind und bei Ankunft nicht einmal nach der Quarantäne gefragt wurde, weil sie wochenlang unterwegs gewesen sind. Denksport für Bürokraten!
So konnte es geschehen, daß das Paradies am anderen Ende der Welt, immerhin Synonym eines Traumzieles im besten Sinne, viele Segler besonders brutal erwischte. In Französisch Polynesien hat sich die Situation zum Alptraum entwickelt, weil ein Arztbesuch plötzlich nicht mehr möglich, Lebensmittel überteuert und nur noch einmal die Woche frisch zur Verfügung gestanden haben. Die Berichte der Segler vor Ort vermitteln eine Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen Unglauben über plötzliche Notwendigkeiten und dem Wunsch, sich ein Grundstück zu kaufen und für immer dort zu bleiben, wissend, dass man von unerwarteten Schwierigkeiten umzingelt ist und alle Optionen für zukünftige Ziele durch Quarantäne Massnahmen nicht mehr zur Verfügung standen. Wenn zudem sichere Ankerplätze von zu vielen Schiffen bevölkert, wenn haarsträubende nächtliche Ankerwachen von der Ausnahme zur Regel werden, wenn bei Einkäufen von Lebensmitteln im Supermarkt, ein Wettlauf mit Inselbewohnern für schlechte Stimmung sorgt, wird leicht nachvollziehbar, welche Sorgen Segler plötzlich erfahren, die sich tausende Meilen von sicheren Kontinenten mitten in ehemaligen Paradiesen befinden! Hier sind ganze Traumszenarien in sich zusammen gefallen.

credit Tino Schumann
Mir sind Segler bekannt, die ihre Reise im Paradies unmittelbar abgebrochen haben, die Schiffe leergeräumt, wurden anschliessend einem Broker zum Verkauf übergeben, die Rückreise in die Heimat mit der Wiederaufnahme des Flugverkehrs angetreten.
In New Zealand haben sich Segler unsichtbar gemacht, sogar Online Präsenzen offline gestellt, um nicht in den Fokus von Behörden zu geraten. Die Sailing Community ist still zusammen gerückt, weil die Sorgen über die Zukunft überall auf die Stimmung gedrückt.
Aus Honolulu wird von einen vergleichsweise milden Lockdown berichtet, allerdings ungläubig die Veränderungen einer ansonsten pulsierenden Touristen Attraktion mit angesehen. Die Liveaboards auf der Insel planen die Weiterreise.
Ein deutscher Liveaboard hat die abgelegenen malaysischen Archipele besegelt, stets auf der Hut vor unerwünschten Kontrollen, sein Schiff im Hafen kürzlich verlassen, um in die Heimat zu fliegen.
Eine US Yacht hat, von Indien kommend, den kurzen Weg durchs Rote Meer ins Mittelmeer genommen. Die Besatzung musste mit angehaltenem Atem erleben, wie eine unbemannte Drohne, in Form eines stark motorisierten offenen Fischerbootes, in wenigen Metern Abstand ihre Beneteau begleitete und als Ziel offenbar keinen Schuss für Wert befunden hat. Die Weltumsegelung, im Dezember 2018 in Boston begonnen, endete 18 Monate später in der Heimat, ohne weitere Häfen anzulaufen.
Etliche Yachten haben, von St. Helena kommend, den langen Weg direkt nach Europa gewählt, wo sie, viele Wochen später, eingetroffen sind.
Im karibischen Raum hat es dramatische Szenen gegeben, hunderte Segler haben auf der Suche nach sicheren Liegeplätzen vor dem Beginn der Hurrikan Saison, die nördlichen Inseln fluchtartig verlassen, sich an den sicheren südlichen Destinationen in vollen Ankerbuchten gedrängelt, um dort in Ruhe die Optionen ihrer Weiterreise zu bedenken.
Es ist der uneigennützigen Aktion der SALTY DAWG Sailing Association zu verdanken, dass 252 Schiffe unter ihrer Federführung Richtung Norden in sichere Gewässer haben überführt werden können. Andere Segler wurden von ihren Versicherungen zur Kasse gebeten, weil es nicht gelungen war, ihre Schiffe in den Süden zu verlegen. Fast mag man es nicht erwähnen, dass von deutscher Seite ein Hilfeersuchen ans Auswärtige Amt ergangen ist, offenbar wurde allerdings verschämt versäumt dabei den eigenen Namen preis zu geben.
Bemerkenswert der Bericht einen langjährigen Kenners der Szene, dem US Skipper einer Swan 48, der in nüchternen Worten unschöne Erfahrungen mit lokalen Behörden wiedergegeben hat, einem Mann wohlgemerkt, der im Verlauf von Jahrzehnten überall bekannt, unschätzbare Arbeit beim Wiederaufbau nach den Hurrikan Verwüstungen in St. Maarten geleistet hat. Der Mann wurde an Bord seiner Yacht von den örtlichen Zollbehörden zum sofortigen Verlassen der Gewässer aufgefordert und eskortiert. Die Geschichte hat in den USA Wogen geschlagen.
Ich könnte die Liste ungewöhnlicher Erfahrungen hier endlos fortsetzen, denn jeder Segler hat seine ganz eigene Geschichte zu erzählen. Allen gemeinsam, sie haben flexibel reagiert und sich auf die neue Situation eingestellt. Für Menschen, die eigene Entscheidungen nicht gewohnt, sicherlich eine bedrohliche Situation. Für Segler hingegen eine Herausforderungen besonderer Art, der man sich nur stellen muss. Nach meinem Empfinden ist dies gut gelungen, auch wenn der Nordatlantik in diesem Jahr einige Wetterhürden aufgestellt hat, die zu bezwingen waren.
Die Pandemie hat dem Traum von Freiheit auf See einen empfindlichen Dämpfer versetzt, aber sie wird es nicht schaffen, die Lust auf Segeln zum Erliegen zu bringen, weil Abstand, auch im übertragenen Sinne, für Segel Enthusiasten zur Grundausstattung gehört. Denn wir wissen, dass es überall die Menschen sind, die Bedrohungslagen verursachen, wehalb wir diesen Sport in unserem Herzen tragen. Uns liegt im Blut, unsere Reisepläne mit meteologischen Abläufen zu synchronisieren. Wir haben gelernt, geopolitische Entwicklungen sorgsam zu beachten, um Schaden an Leib, Seele sowie Schiff zu vermeiden, wir haben akzeptiert, dass wir in bestimmten Gegenden nix zu suchen haben, kennen die Folgen, die wir als Quittung zu erleiden hätten. Wir werden unsere Pläne und Ziele der nun neuen Situation anzupassen wissen, werden vielleicht heimatliche Reviere neu erschliessen, werden in Europa wundervolle Ecken entdecken, werden unsere Sehnsüchte nach fernen Zielen ein wenig zügeln, weil sie viel zu oft nur durch den Flaschenhals von Silbervögeln zu erreichen sind und wir realisieren atemlos, dass wir in fliegenden Röhren nicht nur unseren eigenen Atem inhalieren.
Eigenverantwortung zu übernehmen, das zählt zu den besonderen Eigenschaften von Seglern, denn wer sich dieser Herausforderung nicht stellen mag oder kann, der kommt niemals los und nirgends an. Es ist die Geschichte von Spreu und Weizen!
26.07.2020
Peter Foerthmann
Wow, das ist wieder mal ein Kommentar! Hut ab (!) als Philosophen haben wir Dich ja schon kennen gelernt. Jetzt auch noch den Anthroposophischen Analytiker. Wohlan stet Dir diese Rolle.
Kompliment, Herr Förthmann, eine außergewöhnliche Zusammenfassung voll tiefgründigem Humor. Toll geschrieben, vielen Dank.