DER FAKTOR ZEIT UND DIE PARADIESE
Mein Parabelflug hat exakt 268 Seiten gedauert, also ungefähr 5 Stunden, dann bin ich wieder – Pardautz! – in meiner Wirklichkeit gelandet. Noch ganz schwindelig im Kopf, auf den Beinen wackelig, weil sitzend, liegend und im Geiste noch völlig schwerelos, habe ich nunmehr zwölf von 32 Jahren – zunehmend wie auf Speed – in mich hineingelesen – das Buch endet im Jahre 2002. Dostojewski hat den Gebrüdern Karamasov 1950 Seiten gewidmet, Wolfgang hätte locker ebenso viele Seiten füllen können, hat sich hingegen entschlossen, vorerst 12 Lebensjahre – samt Pro- und Epilog – auf 268 Seiten zu verdichten, was beim Leser sofortige Atemnot verursacht, weil das Erlebte immer wieder die Seiten sprengt, wobei zeitgleich der Unglaube wächst, desgleichen die Bewunderung für Tatkraft und Willensstärke, sich zu vergegenwärtigen, dass das hier Erlebte in das Leben eines einzigen Homunkulus – gepasst! Andere Segler hätten bereits nach Verlassen des Donau Deltas in Bulgarien die Waffen gestreckt, ihre Pläne subito leicht modifiziert … und sich dort am Strand entspannt. Spreu und Weizen sind eben unterschiedlich!
Dies alles erlebt und erzählt von einem Bayern, der sich durch krachlederne Lederhosen sowie Gamsbock Hut als tollkühnen Segler apostrophiert bzw. sogar persifliert, dessen Affinität zur grausamen See von der gemeinen Volksseele – allein optisch! – vielfach als unvereinbar empfunden, und darum Vorurteilen eine Tür geöffnet wird, auf der weniger tolerante Seelen sich mit Wonne haben austoben können, was Wolfgang in seiner Heimat spürbar erlitten hat.
Ausserhalb Bayern´s sogar ein Affront, der seinesgleichen sucht, weil die Spezies von Preussen sich zumindest auf der grausamen See als einzigartig und übermächtig empfindet. Ob hier der Schlüssel dafür zu suchen ist, warum sich in Deutschland bislang kein Verlag getraut hat, diesem Tausendsassa prallen Lebens eine Plattform in gedruckter Form einzuräumen bzw. zu verschaffen? Vermutlich sicherlich ein bisschen, zumal Verlage gern ihrem eigenen Verständnis von ertragreichen Autoren folgen, weil sie schliesslich Herr oder Frau der Kassenlage sind, ihren Lesern Bücher ans Herz zu legen – oder eben nicht. Ist sicherlich auch eine Frage von Persönlichkeitsstrukturen, denn nicht jeder Autor ist devot und bereit, sich einem Verlag samt besonderen Vorgaben und Verträgen zum Frasse vor die Füsse zu drapieren. Der Flaschenhals, durch den ein Autor sich zu pressen hat, um ins gelobte Autorenland einzukehren, ist nicht für jedermann passierbar, weil er zu viel seiner Eigenständigkeit an der Pforte abzugeben hätte, zumindest wenn er noch keine Altrechte erworben, die ihm mehr Freiräume zugestehen würden. Zumal dann am Ende die erhofften Früchte ggf. gar nicht zu ernten sind, oder nicht als angemessen für den Arbeitsaufwand empfunden werden könnten. Eine Strasse ohne Wiederkehr bzw eine Erfahrung, die man erst zu machen hat, um am Ende schlauer zu werden, als man anfangs gedacht.
Immerhin bliebe das Odium eines Autors, das ein wenig tröstet, alternativ ein wenig das Ego erhebt, was fortan als Merkmal zur Alleinstellung verwendet werden kann, fast so wie ein Doktortitel, oder eben das Odium eines Weltumseglers, um Distanz innerhalb einer Sozialgemeinschaft zu erzielen. Für mich ist immer aufschlussreich, ob Menschen in ihrer Aussendarstellung ein Titel wichtig, oder ob sie im Umgang – z.B. unter Seglern – allein ihren Charaktereigenschaften vertrauen und den Waffenschrank jeglicher Überhöhung verschlossen lassen. Es gibt nämlich Segler, die jedwede Gelegenheit nutzen, um die Länge des verwegen und kühn ersegelten Kielwassers … oder eben eine Weltumsegelung im Namensabspann zu erwähnen – ein Spiegel rückwärts, der so viel erschliesst, insbesondere eingesetzt, um fortan als „alter See-Hase ein wenig Goldstaub für die Nase“ zu verdienen.
Ein Buch, geeignet, sämtliche Vorurteile von der hehren Thematik Weltumsegelung, die in unzähligen Segler Köpfen unausgegoren herumgeistern … auf den Sperrmüll zu entsorgen und sodann die Blickrichtung – vormals andachtsvoll – radikal zu verändern, mit Fakten zu füllen, bis am Ende kein Auge mehr trocken bleibt. Die Medizin als Kopfkino mit Wirkung für deutliche Botschaften, die bayrisch deftig, manchmal knapp, verabreicht werden, wenn man dafür offen und innerlich bereit oder schon geläutert ist. Starker Tobak, würde Wolfgang drastisch sagen, weil er ein Freund deutlicher Worte ist. Denn für schwache Gemüter ist Wolfgang´s Buch – nix! Immerhin hat der Mann eine Vielzahl von Piratenüberfällen im wahrsten Wortsinne überlebt, wohingegen einige seiner Widersacher weniger vom Glück gesegnet waren. Auch als Gleitschirmflieger hat sein Schutzengel ihm die Treue gehalten, nachdem er selbst vergessen hatte, sein Leben „einzuklinken“, was zwei Abstürze zur Folge hatte.
Eine prächtige Gelegenheit, einmal zu untersuchen, wie enorm unterschiedlich das Verständnis eines lebenshungrigen, wagemutigen Draufgängers aus Bayern, sich vom Mainstream breiter Segler Kreise unterscheidet, die teils lebenslang die eigene Seele füttern, ihr aber am Ende den finalen Lakmustest – eine grosse Reise unter Segeln – verweigern, wofür eine endlose Kette von Gründen als Notbehelf Schlange stehen, hinter denen man sich – leider leider, oder zum Glück? – lebenslang verstecken kann, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Waschlappen, keine Eier – würde Wolfgang sagen, der sich beim Füttern meterlanger Muränen mit dem Mund – hat filmen lassen. Im Verlauf von ca 6.000 Tauchgängen ist Wolfgang irgendwie immer wieder nach oben gekommen, wenngleich mit Haifischbissmuster an den Armen.
Dies ist die Gemengelage einer grossen Wirtschaftsnation, die im Verlauf von 60 Jahren seit dem zaghaften ersten Bazillus vom Fernweh unter Segeln, bis heute nur im Bereich 100 – 200 Weltumsegler in ihrer Legende vorzuweisen hat. Ein Mövenschiss der Geschichte, falls der vergleichende Blick über Landesgrenzen möglich, weil der Schleier der Einzigartigkeit schnell zerrissen würde. Der Deutsche mag sowas – eher nicht! Vermutlich verstärkt durch die Entscheidung eines grossen Verlages, der nur eine extrem geringe Anzahl von Weltumsegler verlegend unterstützt und somit einer kleinen Segler Nation nur wenig Neues anzubieten bereit – willig – oder in der Lage ist? Verglichen mit anderen Nationen, in denen nicht vor jedem Auge ein Fussball den Blick auf´s Leben behindert … wo eine Unzahl von kleinen Verlagen die Seelen hungriger Segelträumer füttern … leben deutsche Segler ein wenig unter einer Käseglocke, weil die Frischluftzufuhr manches Mal verhindert wird, weil für deutsche Media Verlage jenseits des deutschen Tellerrandes offenbar nur wenige Geschichten von Interesse zu existieren scheinen…. abgesehen von den von internationalen Sponsoren gepeitschten Races, bei denen Media als willige Steigbügelhalter ihren Lesern content mit copy und paste servieren.
Also: Alles ein Frage des Lebenszuschnitts! Sabbatjahr, Weltumsegelung nach Fahrplan bei Papa-an-Hand, der überall die Häfen fegt, Immi- und Exmigration im Gesamtpaket enthalten, kurze LandPausenZeiten für schnelle Insta Shots genutzt, derweil das Schiff von Monteuren für die Weiterfahrt repariert, oder in gemächlicherem Tempo, ganz individuell ohne Fahrplandruck, für ein paar Jahre ausgelegt, um am Ende die Erkenntnis zu erlangen, dass man für die schönsten Erlebnisse dennoch zu wenig Zeit gehabt, zumal überall das Wetter als Peitsche die Reise bestimmt und manchmal auf die Stimmung drückt. Immer ist es die Zeit, die Verlauf, Stimmung und Zufriedenheit einer Weltumsegelung bestimmt. Nicht wahr, von den Ressourcen, der Knete, dem flüssigen Kapital, Einkommen aus Vermögen oder Verpachtung – reden wir hier nicht – weil wir uns verlieren würden. Und das wollen wir nicht!
Die Unterschiede von gemeinen Weltumseglern zu Wolfgang könnten grösser nicht sein, weil der Zeitfaktor beim Jäger von Paradiesen kaum noch eine Rolle spielt, weil er seit Jahrzehnten seinen Lebensmittelpunkt an Bord seiner Yacht gefunden hat. Nur so konnte er in aller Ruhe entfernte Archipele erfahren und dort soziale Kontakte knüpfen, die ihn von gemeinen Segler Kreisen zunehmend entfernt haben. Seine Erfahrungen mit anderen Seglern beschreibt er drastisch, desgleichen, warum er sich immer wieder in die Abgeschiedenheit abseits der Segelrouten begeben hat.
Unvergesslich sein Kommentar anlässlich eines meiner Blauwasserseminare zu Beginn des neuen Jahrtausend, als er mit Blick auf andere weitgereiste Segler trocken bemerkte: die hob´ I alle scho beim Lügen erwischt.
Es ist die Authentizität dieses Mannes, die fast betroffen macht, weil er auch sich selbst gegenüber rücksichtslos ehrlich ist, egal of er dabei eigene Fehler als Dummheit bezeichnet, oder aber seiner langjährigen Freundin / Partnerin Renate an Bord am Ende des Buches für vier wundervolle Jahre gemeinsamen Segelns seinen Dank ausspricht.
Für mich ist schwer verständlich, warum dies Füllhorn eines wundervollen Lebens unter Segeln … erst im hohen Alter von 78 Jahren nachlesbar in die Hände zu nehmen ist. Auf eine Fortsetzung kann ich kaum noch warten …
01.06.2020
Peter Foerthmann
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30 JAHRE ALS PARADIESJÄGER UNTERWEGS
Donnerwetter, sind wirklich schon zehn Jahre ins Land gesaust, dass ich über Gangerl, wie er sich selbst benennt, meinen ersten Blog niedergeschrieben habe? Tatsächlich, ich habe nicht gelogen: ich habe damals über eine ganze Lebenskette von unglückseligen Ereignissen berichtet, die diesem Bayrischen Urgestein nicht haben die Lebens – und Segellust! – verhageln können. Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten nur nebensächlich über Heckverzierungen ausgetauscht, denn Wolfgang´s Entscheidung stand ohnehin schon fest, noch bevor die letzten Platten an seiner Reinke zusammen geschweisst worden sind. Die King of Bavaria hat unter Windpilot einmal den Tacho genullt, ist hernach nochmals mit dem Zählen angefangen … bis zum bitteren Ende auf den Klippen der Seychellen, nachdem ein Schäkel in der Ankerkette den Naturgewalten nicht mehr standgehalten hat.
Wir sind Mates of Soul, weil im Naturell ein wenig ähnlich: lebenslustig, unrettbar optimistisch … nur eben manchmal dem gegnerischen Geschlecht gegenüber unerklärlich wehrlos, oder sollte ich sagen, orientierungslos hirnlos? Meine feminine Regierungszentrale hat für diese Testosteron bedingte männliche Fehlerhaftigkeit, den Begriff Tiefolot erfunden, weil er so wundervoll bildhaft beschreibt, warum im sozialen Miteinander so häufig was daneben geht. Nun, ich wurde hausintern upgedated und kann heute von Herzen darüber lachen, wenn ich bei eingefleischten Paaren ähnliche Verhaltensauffälligkeiten erkenne. Nach aussen ganze Kerle, deren Testikel however in den Handtaschen der Frauen verborgen, dort eifersüchtigst gehütet werden. Ein stilles Ringen um Unabhängigkeit, das im Nahkampf der Geschlechter schon mal Kapriolen schlägt, manchmal mit Langzeitfolgen, wenn man es nicht schafft … sich zu befreien.
Wann immer ich an Wolfgang denke, flitzen jene wundervolle Geschichten und Begebenheiten durch meine Synapsen, über die wir beide von Herzen lachen können, von denen wir berichten und erzählen, obgleich wir Teil der Stories sind, auch wenn die nicht zu unseren Gunsten ausgegangen sind.
z.B. diese im Jahre 2006:
Ja Peter, das Problem mit den Frauen kenn ich zu Genüge.
Die Dame an meiner Seite macht mir so manche Eifersuchtszenen und da flogen schon die Fetzen. Hab´ halt zu viel Fans. Hab´ Sie aber noch nie betrogen, glaubt sie aber nicht.
Mein Bub ist schon ein strammes Kerlchen. Er hat schon mit 7 Monaten in den Pott gekackt und läuft nun mit 11 Monaten.
Hab in Afrika ein Haus, aber da sitzen meistens 6-8 Familienangehörige drin und alle Probleme der Familie, wälzen sie auf mich ab.
Die nächsten 3 Jahre mach ich noch strenge Charter und ob sie dann mit nach Alaska segeln, ist fraglich.
Aber ich werde sehen was die Zeit so bringt.
Übrigens Du hast einen tollen Hasen, gratuliere Dir aus vollem Herzen. Ja so a Pupperl, gibt uns alten Knackern schon wieder neuen Schwung.
Ich wünsche Dir mehr Glück mit Deinem Kopfkissenzerwühler als ich es habe.
Herzliche Grüsse an Dich und Dein Zuckerschneckerl wünscht Euch Gangerl
Oder jener Begebenheit im Verlauf eines meiner Blauwasser Seminare um die Jahrtausend Wende, als Wolfgang angesichts vieler honoriger Segler trocken bemerkte: I´ hob die doch alle schon beim Lügen erwischt. Wolfgang´s Sprachwitz ist umwerfend, wer einmal das Vergnügen des bayrischen Donnerblitzbubs genossen hat, wird fortan Langweilern kaum noch zuhören wollen, zumal ein Simultan Dolmetscher unnötig, weil die Bildgewalt seiner Erlebnisse auch für nichtbayrische Zeitgenossen unvergesslich macht.
Wolfgang hat Jahre gebraucht, endlich sein ersten Buch zu schreiben, immer ist das Leben dazwischen gekommen. Der PARADIES JÄGER ist nun im Handel, eine Zusammenfassung wundervoller Lebensgeschichten, eines Mannes, der mit 78 Jahren gerade der Quarantäne in Malaysia entronnen ist, und nun zu entschieden hat, ob das nächste Paradies schon gleich um die Ecke liegt. WEITERLESEN