JOSHUA SLOCUM UND SEINE SPRAY SIND AN ALLEM SCHULD
Erzählt von Olivier Merbau:
Mein erstes Treffen mit Guy Bernardin fand in St. Malo im Jahre 1984 statt, er war gerade als Gewinner der Quebec – St. Malo Regatta für Monohulls eingelaufen und nannte dies als Erklärung – oder Entschuldigung? – für seine ungeheure Leidenschaft zum Segeln. Eine Erklärung, wie sie übrigens identisch bei Jack London und seiner Frau Charmine nachzulesen ist.
Nach einen gemeinsamen Abend bei mir an Bord, verloren sich unsere Wege für viele, genauer, für 23 Jahre. Anlässlich einer Schriftstellertagung vor zehn Jahren haben wir uns erstmals in Noirmoutier wieder getroffen, einer, ehrlich gesagt, ziemlich erfolglosen Veranstaltung, jedenfalls in Bezug auf Buchprojekte. Die gute Seite allerdings hat mich mehr als entschädigt und seither nicht mehr losgelassen, denn mein Sitzplatz Nachbar Guy und ich, wir hatten Gesprächsstoff im Überfluss. Wir hatten keine Langeweile, denn es ging ums Segeln, worum denn wohl sonst?
Guy, Ex-Sportler, mit nicht weniger als 5 Weltumsegelungen im Kielwasser, allesamt im Regatta Modus, als Eigner der einzigen Original Replika von Slocum´s SPRAY, seinem liebevoll gepflegten segelndem Zuhause seit 20 Jahren, mit der er zwei weitere Male um die Welt gesegelt ist, einmal mit und einmal ohne seine Familie; und ich, ehemaliger Delivery Skipper über Jahrzehnte, mit unzähligen Überführungen auf unterschiedlichsten Yachten, allerdings stets ohne das enorme Glück, einmal abseits der bekannten Routen in Ruhe segeln zu können, schlicht, weil Yacht Überführungen mit Spass und Abenteuer nichts gemein, hingegen eine Schweiss treibende Arbeit sind, zumal man ja auch als Mechaniker und Kosmetiker in Personalunion die immer viel zu knappen Zeiten der Überführungen mit Arbeit auszufüllen hatte.
Jedenfalls dauerte es in Noirmoutier gar nicht lange, viele Gemeinsamkeiten, Bekannte und Freunde zu entdecken. Natürlich war es praktisch, dass wir im gleichen Hotel logierten, ganz abgesehen davon, dass zwei Segler als Paradiesvögel in einer Runde von Nichtseglern, wie Magneten ziemlich schnell zusammenfinden, um sodann die Aussenwelt komplett zu vergessen.
Wir entdeckten Übereinstimmungen ohne Ende, vor allem in Bezug auf die rasanten Veränderungen bei Schiffen und Ausrüstung in der Cruising Community im Verlauf vergangener Jahrzehnte. Schiffe, die heute mit allen „bells und wistles“ ausgerüstet, von Skippern gesegelt, von denen etliche vermutlich gar nicht die Ausfahrt aus dem eigenen Hafen finden würden, ohne ihre elektronischen Helferlein einzuschalten. Nicht zu vergessen, dass heutzutage Abenteuerlust und Entdeckungsfreude verbreitet durch Gruppenreisen zur See ersetzt werden, um den Protagonisten Bequemlichkeiten sowie möglichst wenige Imponderabilien zuzumuten, um am Ende ein Erlebnis der Sonderklasse zu garantieren. In einer Welt voller administrativer Zwänge wird eine Weltumsegelung zum Segeln nach Fahrplan, bei dem man durch Zahlung eines Eintrittspreises unbeschwertes Segeln selbst in exotischen Gewässern buchen kann. Nur Festmachen im nächsten Hafen muss man noch selbst.
So garnicht unsere Welt.
Wahrnehmungsfähigkeit und scharfe Sinne werden heute durch elektronische Helferlein ersetzt. Rasant steigende Preise für Schiffe und Zubehör, ohne das sich mancher Segler heute nicht mehr auf See zu gehen traut, haben weltweit eine Infrastruktur entstehen lassen, die mit dem Budget von Normalverdienern kaum noch zu bezahlen ist. Nicht zu reden von den immer extremer geratenen Ocean Regatten, deren verrückte Budgets ohne kapitalkräftige Sponsoren heute gar nicht mehr denkbar wären, wobei die Schiffe schon mal das Fliegen lernen.
Jedenfalls ein weites Feld von Beobachtungen, wenn man die Veränderungen der Verhaltensweisen von Menschen, ihren Gewohnheiten und – scheinbar – notwendige Investitionen betrachtet, die das unbeschwerte Wasserwandern, sowie die Abenteuer- und Entdeckungslust früherer Zeiten heute fast unmöglich machen.
Ich war mir mit Guy einig, dass die Zeit überfällig sei, zu den traditionellen Werten des Segelns als Handwerk zurückzukehren, dass Segler wieder die natürlichen Sinne schärfen sollten, anstatt sich zu Sklaven ihres elektronischen Equipments zu machen, damit die See und ihre Gesetzmässigkeiten wieder wichtig werden, anstelle von Fahrplänen, die eingehalten werden müssen. In einem Wort: segeln pur, bei dem KISS – wie früher – eine grosse Rolle spielt. Rückkehr zu mehr Eigenverantwortlichkeit, Respekt vor der Natur, sowie einem sensiblen Gefühl für deren Launen.
Guy jedenfalls schien unvermittelt um eine Ausrede verlegen, als er mir zu erklären versucchte, warum er ein weiteres Mal Solo Single Hand Nonstop um die Welt zu segeln plante, allerdings diesmal nun nicht mit seiner „Spray of Saint- Briac“. Er ging weiter: die Spray sollte zum Verkauf ausgeschrieben werden, um sich vom Erlös dann ein modernes Schiff zu kaufen. In meinen Gedanken regte sich Widerspruch und ich sah Guy bereits auf einem Ex Vendée Racer segeln, von denen viele für ein Taschengeld zu kaufen waren. Ehrlich gestanden, empfand ich seine Pläne als merkwürdige Diskrepanz, jedenfalls für einen Mann in seinem Alter, der immer noch in der Liga der jungen Männer spielen wollte. Denn für mich waren schon damals Schiffe von 12 – 13 m Länge die maximale – und ideale – Grösse für Einhandsegler, und ich war doch erheblich jünger als Guy. Für mich kam stets nur ein Schiff in Frage, das in Bezug auf Grösse und Handling jederzeit von einer Person zu bewältigen sein konnte. Dazu gehören ein solider Kiel mit geschütztem Ruder für ruhiges Kursverhalten, auch um Strom fressenden Autopiloten zu bändigen, sodann eine auf 2 Masten verteilte Segelfläche für ausgewogenen Segeltrimm bei schwerem Wetter – eigentlich nichts anderes als die Spray, die für mich stets als der Inbegriff eines sicheren Seeschiffs gewesen ist, solange ich zurückdenken kann.
Mit derart unterschiedlichen Konzepten über die Vorstellungen der idealen Yacht für das Wasserwandern, machte es wenig Sinn zu streiten, wenngleich Guy seit Jahrzehnten doch genau das Schiff segelte, von dem ich träumte, das er nun sogar verkaufen wollte um einen anderen – jungen?- Traum zu leben? Verdrehte Welt! Immerhin konnten wir gemeinsam in unseren Träumen schwelgen, von einem Leben in Einsamkeit und Einfachheit auf See, das wir uns so sehr ersehnten und dem wir entgegen segeln wollten.
Das langsame Siechtum der amerikanischen Slocum Society nach den Feierlichkeiten anläßlich des 100- jährigen Jubiläums von Slocum´s Weltumsegelung in Fairhaven im Jahre 1998 markierte vermutlich einen Wendepunkt in Guy´s Leben. Er hatte gerade ein weiteres Mal die Welt umrundet – dieses Mal mit seiner Familie – und die „Spray of Saint-Briac“ stand natürlich im Mittelpunkt bei den Jubiläumsfeierlichkeiten. Guy beschloss, sich fortan nur noch auf das Wesentliche zu konzentrieren: ein neues – modernes? – Boot zu finden und weiter segeln. Ein Mann, der vermutlich nur auf See zu seiner innere Ruhe finden konnte, was durch immerhin 7 Weltumsegelungen im Verlauf von Jahrzehnten, bewiesen scheint.
Ist es nicht merkwürdig, dass sich die Dinge im Leben manchmal ganz anders entwickeln? Jedenfalls erhielt ich in Ende 2014, oder war es Anfang 2015? – einen Anruf von Guy. Seine Frage: ob ich denn wüsste, welches Ereignis im Jahre 2018 vor der Tür stehen würde? Rätselraten war nun gar nicht mein Ding – also gab ich auf. Nun, es stünde der 50.te Jahrestag des LONG WAY – dem Sunday Times Golden Gloce Race – vor der Tür. Oh my God! Wie konnte ich das vergessen?
Es ergab sich wie von selbst, dass wir uns ganz plötzlich vollkommen einig waren. Wir entschlossen uns, nun gemeinsam uns – ein jeder auf seinem eigenen Schiff – auf die grosse Reise zu begeben. Was für Guy der Anlass zum nochmaligen Aufbruch gewesen sein mag, war für mich die Realisierung meines langgehegten Lebenstraumes!
Uns war von der ersten Sekunde an klar, dass unsere Pilgerfahrt auf den Spuren des alten indochinesischen Gurus kein Wettkampf werden sollte, ebenso wenig, wie man den Gang nach Santiago de Compostella ja schliesslich auch nicht als olympischen Lauf hätte erledigen können. Wir wollten, ganz wie unser grosses Vorbild, das Meer und nur das Meer erleben, weit entfernt von Land, und frei von Einschränkungen jeder Art.
Die Gedanken rasten und es ergab sich fast wie von selbst, dass wir uns bald fragten: warum eigentlich den Weg nicht mit anderen teilen? Schließlich wird auch der Weg nach Santiago von vielen begangen und wird dennoch für einen jeden zu einem ganz persönliches Erlebnis! Einmal auf See, würde jeder Segler auf seinem Schiff ohnehin mit sich alleine sein, einem Schiff, das er sich für seine Reise ausgewählt, ausgerüstet, den eigenen Wünschen und Bedürfnissen angepasst, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln selbst bezahlt hat. Es stand ausser Frage, dass diese Reise von Segelenthusiasten unternommen würde, die von Idealismus getrieben, auch mit geringen finanziellen Mitteln das Abenteuer wagen würden – genau wie wir. Segeln in der Reinform.
Plötzlich wurde alles einfach: wir entschlossen uns, die Teilnahme Bedingungen des Sunday Times Golden Globe Races von 1968 zu beleben:
Freie Schiffswahl, Abfahrt zwischen Juni – Oktober 2018, freie Wahl des Abfahrt und Rückkehr von einem Hafen nördlich 45 Grad Nord, freie Route und Nonstop.Guy erwies sich als glühender Vorreiter dieser Idee, von der wir beide nicht ahnten, wie gross die Karawane von Seglern am Ende werden sollte, die sich sodann der Longue Route anschliessen würde. Es ist eine besondere Tragik, dass Guy dies nicht mehr erleben kann, weil er vor wenigen Wochen im Atlantik vor der Küste von Cape Cod sein Leben verloren hat – auf seiner Überfahrt nach Europa, die zu seiner letzten Reise werden sollte.
Es ist mir eine besondere Ehre und Verpflichtung, ganz im Sinne und Andenken an meinen Freund und Seelenkameraden Guy, diese Reise nun Realität werden zu lassen, und mit vielen anderen Seeleuten gemeinsam in See zu stechen, den Zwängen des Landlebens zu entschwinden und auf See unsere Sehnsüchte zu stillen und hoffentlich unseren inneren Seelenfrieden zu finden – dort unten weit im Süden, wo die lange Dünung uns immer weiterschiebt.
Olivier Merbau im November 2017
Übersetzung: Peter Foerthmann