SV Eleonore

EINHAND ATLANTIK MIT EINEM BUNTEN STRAUSS AN ÜBERERASCHUNGEN
Mitte Februar 2022 im Hafen von Arrecife auf Lanzarotte: Bei Sonnenschein und optimalen Windvorhersagen legte ich ab mit Ziel Französisch-Guyana. Es sollte meine dritte Atlantiküberquerung werden, wovon zum zweiten Mal einhand. ELEONORE, meine 36 Fuss Sweden Yacht hatte ich – so war ich davon überzeugt – bestens vorbereitet. Ich war kribbelig vor Freude, Anspannung und Nervosität – wie es einem so ergeht beim Start zu einem längeren Törn.
Überraschung «Servicebatterie»
Stunden später lag die Meerenge zwischen Lanzarote und Fuerteventura hinter mir und ELEONORE glitt leise plätschern durch eine wunderschöner Abendstimmung in die Nacht. Genuss pur. Doch ein Blick auf den Batteriemonitor änderte meine wohlige Entspanntheit schlagartig: Die Spannung der Servicebatterie lag nur noch bei 11.7 Volt. «F***, was soll denn das?» Ich startete den Motor und umgehend sprang die Voltanzeige nach oben. Nach ein paar Minuten stellte ich den Motor wieder ab und kurz danach sank die Voltanzeige wieder unter 12 Volt. Klarer Fall: Die AGM-Servicebatterie war futsch. Unverständlich nach gerade mal drei Jahren Nutzungsdauer. Ich stellte alle Verbraucher ab, die Windsteueranlage benötigt ja keinen Strom und zum Glück stand mir eine helle Mondnacht bevor, die ich nun ohne AIS und ohne Beleuchtung durchsegeln würde, und nahm Kurs auf die grosse Marina im Norden von Cran Canaria. Dort würde ich am ehesten innert Kürze eine neue, passende Servicebatterie erhalten.

Am folgenden Nachmittag im Hafenbüro von Las Palmas wurde mir mitgeteilt, dass die Marina voll sei. Ich müsse in die grosse Bucht ausserhalb der Marina vor Ankern gehen. Sie würden sich dann per SMS melden, sobald ein Platz frei werde. Ich meinte mich treffe der Schlag und erklärte ihnen meine Situation. Ich musste unbedingt ihre Unterstützung gewinnen, sonst würde ich unter Umständen tagelang hier hängenbleiben und mir somit Französisch-Guyana abschminken können. Mein Anliegen stiess auf offene Ohren und ich hatte Glück: Es gab eine Möglichkeit für ein, vielleicht zwei Nächte. Obendrauf erhielt ich die Telefonnummer eines Elektrikers. «Muchos gracias!» Und siehe da, bereits 24 Stunden später war ELEONORE mit einer neuen Servicebatterie ausgestattet. Zur Feier ging ich nochmals richtig gut Abendessen und verliess am darauffolgenden Morgen bester Laune den Hafen. «Französisch-Guyana, j’arrive!»
Überraschung «Windsteueranlage»In der Winddüse zwischen Cran Canaria und Teneriffa machte die Windsteueranlage Schwierigkeiten: Der Radadapter schleifte durch. War es der starke Wind, gepaart mit den achterlich anrollenden Wellenbergen, oder vielleicht die Strömung? Letztendlich unverständlich, dachte ich, denn bisher waren solche Bedingungen noch nie ein Problem und ich nahm vorübergehend den elektrischen Autopilot in Betrieb.

Zwei Tage später lag El Hierro hinter mir. Der achterliche Nordostwind bliess konstant um die 25 Knoten, als der Radadapter der Windpilot immer öfters durchrutschte. Nachdem ich den Radadapter in den letzten zwei Tagen nun schon mehrmals auseinandergenommen hatte, wurde mir klar, dass ich die Windsteueranlage nicht weiter nutzen konnte. Da konnte ich mir noch lange Mantra artig einreden «geht nicht gibt’s nicht». Es blieb mir zähneknirschend nichts anderes übrig, als unter Autopilot meine Reise fortzusetzen.

Überraschung «rutschender Steuerflansch»
Stunden später: Es war Nacht und ich lag im steten Auf und Ab der Wellen bei leichter Krängung genüsslich im Salon. Plötzlich bemerkte ich, dass ELEONORE markant den Kurs wechselte! Ich sprang ins Cockpit, deaktivierte den Autopilot um das Boot wieder auf Kurs zu bringen und aktivierte den Autopilot aufs Neue – doch das Steuer drehte sich sogleich wieder und das Boot lief sofort aus dem Ruder. Panik durchflutete mich. Ohne erst den Autopilot zu deaktivieren brachte ich ELEONORE wieder auf Kurs und begann zu erahnen, woran es liegen könnte. Ich öffnete die Backskiste und entfernte die Abdeckung über dem Ruderquadrant und siehe da – genau: Der das Ruderrohr umfassende Flansch, über den der Autopilot das Ruder bewegt, war nach Steuerbord verrutscht. Er hatte sich offensichtlich gelöst. Also alles halb so wild, dachte ich: Flansch wieder in die richtige Position bringen, Schrauben anziehen und das Problem ist gelöst. Blieb nur die Frage, wie ich den Flansch anziehen konnte. Denn dazu musste ich unter Deck in die Achterkabine, währenddem ich gleichzeitig im Cockpit das Steuer bedienen sollte. Eine klassische Problemstellung des Einhandseglers: Etwas ausführen, wozu man zu zweit sein sollte. Wind und Wellen waren konstant, was mir den Eindruck vermittelte, dass dauernde Steuerbewegungen nicht erforderlich waren, und fixierte das Ruder in seiner optimalen Position. Doch es dauert nicht lange, bis das Boot wieder begann aus dem Ruder zu laufen. Bei 25 Knoten Wind und einer Wellenhöhe von mindestens zwei Metern würde es ab einem bestimmten Punkt nicht lange dauern, bis ELEONORE querschlagen würde. Das war nicht ungefährlich und galt es zu vermeiden. Ich musste also schnell sein und die Arbeit in eventuell in kurzen Etappen ausführen. Nach mehrmaligem stressigen hin und her zwischen Cockpit und Achterkabine sass ich schliesslich schweissüberströmt – aber glücklich ob der erfolgreichen Aktion – wieder im Cockpit. Der Flansch war wieder mittig fixiert und der Autopilot steuerte ELEONORE. Phuuu! Nochmals gut gegangen. Sicher? Nein! Es dauerte nicht lange, und das Theater ging von vorne los. «Das darf doch nicht wahr sein», fluchte ich. Ich war nun bereits etwas geübt, und so dauerte es nicht lange, bis der Flansch erneut fixiert war. Diesmal angezogen mit aller mir zur Verfügung stehenden Muskelkraft. Doch auch dieser Erfolg war nur von kurzfristiger Dauer. Verdammt! Ich war am Ende meines Lateins. Was sollte ich tun? Es musste irgendein Defekt vorliegen, den ich nicht verstand und somit nicht beheben konnte. Die Perspektive, nun ohne Windsteuerung und ohne Autopilot von Hand über den Atlantik zu steuern, kam einer Horrorvorstellung sehr nahe.

Überraschung «Umkehr»
Ich befand mich knapp 200 sm südlich von El Hierro und gemäss der Vorhersage von PredictWind sollten die aktuellen Bedingungen – Ost-Nordostwind von 20-25 Knoten mit moderater Welle – noch zwei bis drei Tage anhalten. Ich hatte somit verhältnismässig gute Bedingungen, um umzukehren und hart am Wind nach El Hierro hochzukreuzen. Ich entschied mich mit einem mulmigen Gefühl für diese Variante und stellte mich darauf ein, die nächsten drei Tage mehrheitlich von Hand steuern zu müssen – irgendwie würde das schon gehen.

Ich wendete und brachte ELEONORE auf Nordkurs. Hart am Wind bolzte ich mit starker, aber stabiler Krängung, mit 5-6 Knoten gegen die Wellen an. Es machte richtig Spass! Wind und Wellen waren konstant. Ich fixierte das Steuer und nach einer längeren Beobachtungsphase traute ich mich, mich unter Deck zum Schlafen hinzulegen. Den Wecker stellte ich anfänglich auf 15 Minuten, nach ein paar «Runden» verlängerte ich die Schlafphasen bis auf 30 Minuten. Nach der zweiten Nacht liess der Wind nach, nicht aber die Wellen. Es wurde ungemütlich an Bord und ich startete den Motor. Nun war jedoch Handsteuerung angesagt. Phuuu, ganz schön ermüdend! Ich fixierte den Flansch aufs Neue und siehe da, das Boot blieb jeweils für ein paar Stunden auf Kurs, bis ich den Flansch wieder neu justieren musste. Irgendwann tauchte El Hierro am Horizont auf und Wind und Wellen nahmen stetig ab. Stunden später lief ich in schönster Abendstimmung an der Südspitze von El Hierro in die Puerto de la Restinga ein. Ich hatte mir ein gutes Abendessen mit mehr als nur einem Bier mehr als verdient.
Vermeintliche Problemlösung
Mein Bootsnachbar brachte mich am nächsten Tag auf die Idee, zwischen Flansch und Ruderrohr eine dünne Gummimanschette zu klemmen. Gute Idee. Beim Rumwerkeln am Flansch entdeckte ich eine dritte Fixierschraube auf seiner Rückseite. Ja jetzt war alles klar. «Idiot! Musst natürlich schon alle Schrauben anziehen», schimpfte ich mit mir. Wie blöd kann man denn sein?! Nun ja, eben sehr blöd! musste ich mir selbst eingestehen. Aber ich war erleichtert, die Ursache gefunden und beseitigt zu haben. Wenn ich gewusst hätte, dass ich den Boden meiner Blödheit noch lange nicht erreicht hatte, wäre ich weniger erleichtert gewesen! Doch schön der Reihe nach.

Dann eben direkt nach Guadeloupe
Das Wetter kippte und es wurde stürmisch für die nächsten Tage. Mein ursprüngliches Ziel war, nach einem Besuch im Amazonas von Französisch-Guyana gemütlich den kleinen Antillen entlang nach Sin Maarten zu segeln, um von dort Ende April die Rückreise nach Europa in Angriff zu nehmen. Zeitlich wurde es nun aber langsam eng, wenn ich wirklich ohne Zeitdruck nach Sin Maarten hochwollte. Als ich am 23. Februar in La Restinga endlich aufbrechen konnte, hatte ich mich daher schweren Herzens entschieden, an Stelle von Französisch-Guyana direkt Guadeloupe anzusteuern. Aber halb so schlimm, Hauptsache ich konnte endlich die Atlantiküberquerung starten. Der erste Tag war schwachwindig. Ideal um mich wieder an das Bordleben anzugewöhnen. Dann frischte der Wind aber deutlich auf und es bliess konstant mit 5-6 Bf aus Nordosten, mit Böen bis 30 Knoten und eindrücklichen Wellen, die von hinten anrollten. Das wird sich dann wohl schon noch etwas beruhigen, redete ich mir zuversichtlich zu. Doch von Beruhigung keine Spur.
Und wieder lockert sich der Steuerflansch
Die Windstärke blieb konstant hoch. Der Vorteil war, dass ich mit 6-7 Knoten Fahrt flott vorankam und der Autopilot seine Arbeit perfekt verrichtete – bis ELEONORE wieder aus dem Ruder lief. Der Steuerflansch war wieder durchgerutscht. Eine Umkehr war diesmal ausgeschlossen, da ich mich bereits viel zu weit im Westen befand. Es blieb mir nichts anders übrig, als mich mit einem immer wieder durchrutschenden Steuerflansch über den Atlantik zu mogeln. Ich entwickelte Routine in der stressigen Nachjustierung des Steuerflansches. Jedes Mal hielt er wieder für 1-3 Stunden und ich begann, bereits im Voraus die Schrauben wieder nachzuziehen, bevor sich der Flansch wieder zu verschieben begann. So gelang es mir, die Anzahl der stressigen Aktionen deutlich zu reduzieren.
Nächtliche Erleuchtung
Der Wind blieb weiterhin bei 5-7 Bf mit heftigen Böen. Nachts rauschte ich manchmal nur unter gereffter Fock, teilweise auch nur vor Top und Takel, mit 5 – 6 Knoten Fahrt durch die Dunkelheit. Als ich eines Nachts ganz entspannt im Salon lag und mir zum x-ten Mal den Kopf darüber zerbrach, was ich noch probieren könnte, um diesen verdammten Flansch endlich zum dauerhaften Halten zu bringen, viel es mir buchstäblich wie Schuppen von den Augen: Ich muss doch nur das richtige Werkzeug nehmen! Wie von einer Tarantel gestochen schoss ich hoch, riss die Werkzeugkiste mit der grossen Umschaltknarre unter einem der Salonbänke hervor, setzte die richtige Nuss ein und stürzte damit in die Achterkabine, um die Flanschschrauben, die ich doch tatsächlich bis anhin nur mit einem hundsgewöhnlichen, kurzen Gabelschlüssel angezogen hatte, nun endlich richtig stramm anziehen konnte. Im selben Moment wusste ich, dass ich mein Problem soeben gelöst hatte. Fassungslos setzte ich mich anschliessend in den Salon und fragte mich, «wie kann ein Mensch – also ich – nur dermassen doof sein, sich über Tage hinweg so offensichtlich saudumm zu verhalten, indem er nicht das richtige Werkzeug zur Hand nimmt?» Ich fand keine Antwort. Es machte sich aber eine wohltuende Entspannung in mir breit. «Damit hast du dir nun aber ein Bier verdient», ging es mir durch den Kopf und für einen Moment war ich fest entschlossen, mir ein kühles Helles aus dem Kühlschrank zu genehmigen. Aber ich liess es bleiben und blieb meinem Grundsatz treu, während Einhandtörns keinen Alkohol zu trinken. Belohnung hatte ich jetzt weiss Gott genug!

Fast manisch kontrollierte ich die nächsten Stunden und Tage immer wieder die Stellung des Flansches. Manchmal bildete ich mir ein, dass er sich etwas verschoben habe. Aber dem war nicht so: Er blieb fixiert, wo er hingehörte. Wie fixiert war auch der Wind. Bis Guadeloupe blies er nahezu durchgehend mit 5-6 Bf, in den Böen 7. In einem heftigen, länger dauernden Squall legte er gar auf mehr als 40 Knoten zu. So blieb diese Überfahrt weiterhin abenteuerlich, bis ich in den frühen Morgenstunden vom 17. März den Anker vor Marie Galante fallen liess.

Peter sei Dank
Peter Förthmann hatte mir bereits per Email zugesichert, mir einen neuen Radadapter zu meinen Freunden in Guadeloupe zu senden. Und so freute ich mich umso mehr auf den schon bald bevorstehenden Törn zurück nach Europa, den ich wieder wie gewohnt unter Windsteuerung würde machen können.
Fazit der Geschichte
Die (selbstherrliche) Meinung, unglaublich dumme Fehler begehen alle anderen Segler, nur ich doch nicht, stimmt genaue so lange, bis man selbst einer dieser anderen ist. Ein Grund mehr, auf Törns stets wachsam zu sein.

Jürg Roffler WEITERLESEN

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