Richard Möhlenkamp

SEGELN VERBINDET – EINE BINSE 
Mein Leben ist ungewöhnlich interessant, weil ich in der glücklichen Lage bin, Menschen vom falschen Ende her aufzuschliessen: Von der banalen Heckverzierung über das Schiff, der Zierde eines jeden Mannes, sodann zum Eigner, seinem Leben, seinen Entwicklungen und Entschlüssen … um dabei ggf. angelegentlich zu entdecken, wie sehr man einander ähnlich denkt und fühlt, und plötzlich merkt, dass man den Schlüssel zum Herzen des Gegenübers bereits in der Hand zu halten scheint. Zu kompliziert geschrieben? Gleichwohl eine gerade Linie! Hier ist die Geschichte.
Vor wenigen Wochen entwickelte sich ein Dialog mit Richard, der mich befragte, ob und wie man lackierte Gussteile einer alten Pacific vom schwarzen Lack befreien könnte?

Moin Herr Förthmann, ein echter Kampf, die überaus widerstandsfähige Farbe von der Anlage zu entfernen. Über den Abbeizer von Hornbach hat sie nur milde gelächelt, obwohl draufstand „für jede Farbe …!“ Habe das Zeug dann auch zurückgebracht.
Ein angeblich heftiger Abbeizer (Beko Speed-Ex) aus dem Internet hat auch nicht wirklich das gehalten, was versprochen wurde. Nur in Kombination von dreimal Abbeizer und dann mit einem starken Hochdruckreiniger, ließ sich letztendlich die Farbe entfernen. Spricht ja eigentlich für die Farbe …

Ich habe jetzt mal einige Fotos beigefügt, sodass sie den Zustand der Anlage beurteilen können. Ist ihnen da irgendein Mittel bekannt, was man auf diese Stellen zum weiteren Schutz auftragen könnte?

Soweit das Preludium … dann kam die Fuge.
Richard ist Eigner der SV Gingko, einem wunderschönen Colin Archer aus Kambalaholz auf Eichenspanten mit Gaffelrigg, eine jener Präziosen aus Norwegen, von denen es nur noch wenige gibt. Schiffe in der Urform der Seetüchtigkeit, die auch als Statement für ihre Eigner wirken, deren Aura Ehrfurcht erzeugt, jedenfalls beim Gegenüber, denn mit diesem Schiffen kann man in Hafen ungeniert Manöver fahren, nach dem Motto: kernig gerammt ist besser als lahm angelegt, weil jeder Segelkamerad für die Tücken eines unendlich langen Kiels Verständnis zeigt und zu den Fendern eilt, bevor es kracht. Schiffe, die vielfach mit ihren Eignern in Symbiose durchs Leben gehen. Meine Neugierde jedenfalls war hellwach.
Und so kam in den Folgetagen eine rote Ente mit angebautem Schlafwagenabteil auf meinen Hof, in dem ihr Eigner sogar sein Nachtlager hätte aufschlagen können. Brauchte er aber nicht. Auf der Rücksitz Matratze säuberlich im Pappkarton: eine Pacific in Einzelteilen, von Farbresten befreit, mit Glassperlen gestrahlt … im Neuzustand, obgleich 24 Jahre alt. Donnerwetter, der Mann musste Uhrmacher sein! War er auch!
Es entwickelte sich in den folgenden Stunden, in deren Verlauf wir die Pacific wieder zusammenfügten, eine vergnügliche Zeit, die wir subito vergassen, denn ansonsten wäre uns aufgefallen, dass wir fast den ganzen Tag miteinander verklönten … weil es so viel zu erzählen gab, hier wie dort. Männer sind sowieso die besseren Quasseltanten.
Richard, ein Donnerblitzbub der alten Schule, durch mehrere Berufe für ein wechselvolles Leben gestählt, hat als gelernter Fernsehtechniker sein Geld verdient, bevor er als Funkoffizier in der weltweiten Handelsschifffahrt am Äther hing, sodann zum Uhrmacher konvertiert, dem Beruf, mit dem er jahrelang Familie, Haus und Hof ernährte … mit einem teuren Hobby als Herzensfutter, das ihm stetig an der Kasse nagte.
Denn Richard war bereits mit 14 Jahren in die Luft gegangen, zunächst als Segelflieger, sodann im Verlauf des Restlebens mit unzähligen Eskapaden unter Flügeln mit Propeller Orchester, ohne das ihm sein Leben offenbar kaum denkbar schien. Stand garnicht auf seiner Stirn geschrieben, was sich dahinter alles an Leben angesammelt hat! Darum sollte hier nicht der letzte Beruf vergessen werden, der immerhin als Kostensenkungsmaßnahme für das aufwendige Hobby verstanden werden konnte. Richard war und ist zertifizierter Flugzeugschweisser, von denen es nicht viele gibt.
Er hat Flugzeugmuster geflogen, gesammelt, umgebaut und verkauft, deren Namen mir allesamt unbekannt. Nein, halt, mit einer Piper PA 12 bin ich in Florida geflogen … aber: Scheibe C FalkeCP301 Binder Smaragd Jodel D120Stark Turbulent D1 – sind für mich nur Namen von einer fremden Galaxie. Aber es sollte noch fremder kommen.
Richard ist vermutlich der einzige Deutsche, der als Rennflieger jene legendären Cassutt Rote 69 geflogen ist, die er in England erworben hat, wo er viele Flugenthusiasten und Freunde gefunden hat, die in eigenen Scheunen unweit der Südküste die abenteuerlichsten Flugmuster hegen und pflegen, um mit ihnen aufzusteigen. Die Cassutt Rote 69 gehörte einem Mann, der sein Geld als Pilot auf einer Boeing 747 Jumbo verdient und zwei dieser wilden Fluggeräte sein eigen nannte. Maschinen, die es in sich hatten, einem Formel 1 Rennwagen mit Flügeln dran, bis zu 500 km/std schnell, die hochkant in rechten Winkeln um die Ecke fliegen konnte, wobei der Pilot nur minimale Bewegungen mit dem Steuerknüppel machen durfte, weil das Manöver ansonsten in die Rüben gegangen wäre. Ist es aber nicht! Es kam schlimmer. Am Freitag den 13.ten im Jahre 1999 – dem eigenen Geburtstag! – ist ihm der Atem steckengeblieben, als sich in grosser Höhe, die nicht vollkommen geschlossene Cockpithaube, vermutlich infolge Unachtsamkeit, löste und er sodann im Sturzflug, mit einer Hand das Dach haltend, die Maschine zu Boden brachte und dabei wenig sachte, in einen Wald rein krachte, wobei er nahezu sein Leben hätte verlieren können. Hat er aber nicht, denn das Glück war auf seiner Seite, sein Leben sollte wohl noch nicht zu ende sein. Ein Geburtstag ganz besonderer Art!
Schwerst verletzt, ist Richard dann mitten im Wald aus den Trümmern seiner Maschine rausgekrochen, um bei einem Bauern in der Nähe um Hilfe nachzusuchen, der dies allerdings verweigerte, weil er ein Gespenst zu sehen glaubte, blutüberströmt mit zerrissenen Klamotten. Das Adrenalin immerhin hat den Mann aufrecht gehalten und er fand wenig später hilfsbereite Menschen, die ihn ins Hospital expedierten, wo er viele Monate unter der Obhut der weissen Götter über sein weiteres Leben nachzudenken hatte. Zeit genug, um den Neubau eines eigenen Flugzeugs zu planen und im Verlauf der dann folgenden 13 Jahre tatkräftig durchzuführen … und darin abzuheben.

Die Passion Play ist vermutlich das extremste je gebaute Rennflugzeug in unserem Lande, das sogar die Abnahme des LBA erfolgreich absolviert, heute allerdings als Zeitzeuge auf dem Flugplatz Leer Papenburg im Hangar versteckt, um ggf. sich vielleicht als elektrogetriebenes Flugzeug wieder in den Himmel zu schrauben? Weiss man ja alles nicht!
Jedenfalls sind Denkprozesse in Gang gekommen, in deren Folge Richard sein Leben nun in ruhigere Bahnen gelenkt hat, zumal andere Menschen im Alter von Mitte 60 über das Züchten und Schneiden von Rosen nachzudenken pflegen. Aber die hat Richard nicht, zumal sein Leben eher von Extremen geprägt gewesen ist, weshalb er sich um Konventionen wenig schert, statt dessen nun liebevoll Holzteile seiner Colin Archer lackiert, die nun am Heck ein Steuersklave in Neuzustand ziert, mit der er hinter dem Horizont verschwinden will, weil die Lebenszeit ohnehin viel zu kurz ist, um sich anderer Leute Wertvorstellungen zum Frasse vor die Füsse zu legen. Sein Ziel vielleicht: Canada, um dort seine Tochter zu besuchen, die sich durch viele PS ernährt, von denen sie allerdings nur jeweils eines reiten kann. Die junge Dame ist als Pferdeflüsterin ausgewandert, einem Jugendtraum, der sie stringent nach Canada hat auswandern lassen um sich dort sodann in einer Männerdomäne den Lebensunterhalt zu verdienen. Klingt nach einem Plan, darum will Richard dort nun hin.

Fliegen wird Richard zukünftig nur noch zum Genuss, dann holt er seinen Scheibe Uli aus der Garage, dreht am Hebel … und fliegt seine Runden bis der Tank leer und er wieder zu Boden gleitet, denn beim Langsamfliegen kann man ohnehin mehr von der Landschaft sehen. Oder er restauriert sein historisches Glockenspielhaus an dem es nie an Arbeit mangelt, weil er dort – oh wie praktisch! – selbst zuhause ist.

Ein Mann, der nie unter Langeweile leidet … kommt mir bekannt vor … darum diese Zeilen!

Hamburg 21.12.2022
Peter Foerthmann

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