EINE GANZ GEWÖHNLICHE BERATUNG
Es ist wenige Tage her, dass ich eine Anfrage aus Plouhinec erhalten habe, einem Ort in der Bretagne, in der viele berühmte Segler ihr Zuhause haben. Also … nix Ungewöhnliches, hingegen eine ganz alltägliche Beratung über das wieso weshalb oder warum, in diesem Fall also wie man denn wohl eine HR 39 am besten mit einer Heckverzierung würde steuern können.
Mein Gegenüber war bereits entschlossen, eine Pacific Plus sollte es sein. Preis, Lieferzeit … alles klar, man hätte zur Tagesordnung übergehen können und den Auftrag artig erledigen können. Aber artig bin ich selten, weil mich immer wieder der Hafer sticht, meine Beratung gern ein wenig weiter zu treiben. Zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass die HR 39 durch solide Bauweise, Ruder am Skeg auch von einer Pacific wunderbar – und identisch in Bezug auf die Steuerergebnisse! – zu steuern wäre … wenn man denn gewillt wäre, einfach einmal die Argumente zu gewichten: Gewicht, Preis, Montageaufwand, Manövrier Verhalten im Hafen unter Maschine sowie Wichtigkeit eines Notruders.
Ich hatte einen klugen Segler zum Gegenüber, der meine französischen Fachbücher sämtlich kannte … und mir – fast wie ein Hund an der Leine! – willig folgte.
Dann kam mir der spielerische Gedanke, ihn einfach mal mit Wilfried Krusekopf in Kontakt zu bringen, der nur wenig entfernt von Plouhinec, um die Ecke wohnte, der mit identischem Schiff und der Pacific unzählige Reisen gemacht hatte.
Tja, und was soll ich sagen: es entwickelte sich in meinem Kopf eine Geschichte, die mich des Nachts um den Schlaf gebracht, eine Geschichte, die die Überschrift zu diesem Blog zur Folge hatte.
Denn ich erfuhr Minuten später von Wilfried, dass mein Gegenüber der berühmte Kapitän der HERMIONE sei, einer Replika der legendären Französischen Fregatte gleichen Namens, die unter Generale Lafayette vor 240 Jahren in einer atemberaubenden Unterstützungsaktion den Amerikanern im Unabhängigkeitskrieg gegen England zur Seite gestanden hat. Yann Cariou begleitet das Projekt der HERMIONE seit Kiellegung vor 22 Jahren nachdem er bereits als Capitaine der ETOILE, BELLE POULE, und BELEM gedient hatte. Ein Mann, der bereits 7 Mal die Welt umrundet hatte.
Und hier beginnt der Sinn dieser kleinen Geschichte, die, wie kaum eine zweite geeignet ist, die Unterschiede im Verständnis und Verhältnis zweier Nationen zu ihren maritimen Wurzeln aufzuzeigen.
Das folgende atemberaubende Video dokumentiert den Werdegang der HERMIONE in nur 6 Minuten, und verzeichnet 3,1 Millionen Aufrufe
Demgegenüber wurde das deutsche Video anlässlich des Besuches der USA im Jahre 2015 lediglich 30.000 Mal aufgerufen
Die Gesamtkosten der HERMIONE im Verlauf von 17 Jahren der Realisierung betrugen 25 Mio €, die durch Crowdfunding und Ticketverkauf für Besichtigung von begeisterten Franzosen aufgebracht worden sind. Wohlgemerkt für ein Neubau in Holz unter Verwendung historischer Vorlagen, segelfertig samt modernster Technik und entsprechend heutiger Sicherheitsanforderungen für den Schulungsbetrieb ausgestattet.
Für die kürzlich dem Deutschen Hafenmuseum übergebene kernsanierte PEKING wurden in toto bislang 26 Mio € ausgegeben, wobei es sich um ein zwar erheblich grösseres Schiff handelt, das hingegen weder segelfertig, noch für den praktischen Seebetrieb vorgesehen, lediglich um eine leere Hulk handelt, die als stolzes Wahrzeichen für eine traditionsreiche Vergangenheit einer Stadt stehen soll, in die nun Fahrstühle hineinmontiert werden, damit sie behindertengerecht zu besichtigen sein wird. Wie zu hören ist, wurde die Finanzierung offenbar vollständig aus Steuermitteln vorgenommen.
Vollends aus der Welt – oder aus dem Ruder? – scheint die Restauration der GORCH FOCK gelaufen, die seit 2015 zwecks Renovierung berreits auf der zweiten Werft, nun sogar die Gerichte beschäftigt, ebenfalls einem Projekt, das aus Steuermitteln bezahlt wird. Derzeitiger Kostenstand 135 Mio €, wenngleich weit von der Fertigstellung entfernt.
Mir erscheint augenfällig, wie unglaublich initiativ und effektiv unsere westlichen Nachbarn maritime Projekte verfolgen, die von der ganzen Nation unterstützt, gehuldigt, besucht und im Herzen getragen werden, derweil in Deutschland vergleichbares niemals stattfinden kann und wird, weil in der Nationen das Verständnis für maritime Geschichte lediglich gegen Eintrittsgeld an staatliche Institutionen zu besichtigen ist, die allerdings Steuergelder aller Bürger in nahezu unkontrollierter Menge verwenden, um Denkmähler zu setzen, die am Ende nur selten besucht, bzw. lediglich als touristisches Wahrzeichen Verwendung findet, um vermutlich damit ein Profil zu schärfen.
Nein, ich stelle hier einfach nur ein paar Zahlen zusammen, ohne mir allzu sehr den Kopf zu zerbrechen, vermutlich weil ich sodann schnell ins Grübeln geriete … ob der Hintergründe, die hier weder still noch leise nach Beachtung schreien … was allerdings vermutlich wenig interessiert, weil die Knete bereits weg ist … und Zinsen nicht zu bezahlen sind.
Hermione 25, Peking 26, Gorch Fock 135 Mio € – ein Vergleich, der mich sprachlos macht.
Mes compliments à une grande nation maritime!
Diese Gedanken im Kopf, werde ich morgen eine Pacific nach Plouhinec verpacken und versenden, damit Yann für seine vermutlich 8. Weltumsegelung nicht mit müden Augen in der Nacht sein Schiff zu steuern hat, hingegen diesen Job seiner deutschen Heckverzierung anvertraut, die das ja wirklich nicht zum ersten Mal macht.
Es ist mir eine Ehre – ehrlich!
17.01.2021
Peter Foerthmann
Mann, da hast Du ja wieder eine volle Ladung unterhaltsamer Maritim-Information mit dazugehöriger persönlicher Stellungnahme in Deinen Blog hineingearbeitet.
Mit dem Kapitän der HERMIONE hast Du ohne Zweifel einen der ehrenwertesten französischen Seefahrer als Käufer einer PACIFIC gefunden.
Im Hinblick auf die „Segelbegeisterung“ der Franzosen scheint es mir allerdings, dass Dein Eindruck etwas zu wohlwollend, zu positiv ist.
Zwar stimmt es, dass der Bau der HERMIONE und ihre große Atlantikreise hinüber in die USA viel Aufmerksamkeit in der französischen Bevölkerung gefunden hat, aber es gibt leider demgegenüber auch eine Vielzahl von Beispielen gescheiterter Replikapläne in verschiedenen französischen Häfen, weil die Finanzierung mangels Interesse in der kommunalen Bevölkerung nicht gesichert werden konnte.
Mag sein, dass in Deutschland das Interesse an Seefahrtsgeschichte im Allgemeinen noch geringer ist als in Frankreich, aber die Museumshäfen von Övelgönne und Flensburg müssen den Vergleich mit Douarnenez nicht scheuen.
Wenn man sich europaweit umschaut, so lässt sich allerdings feststellen, dass England und die Niederlande in dieser Hinsicht alle anderen europäischen Länder in den Schatten stellen. Und so ist es nicht wirklich überraschend, dass die HERMIONE-Replik nach den Plänen eines französischen Schwesterschiffs gebaut wurde (Concorde), die in englischen Archiven der Nachwelt erhalten geblieben sind. Die französischen Pläne der originalen HERMIONE sind verlorengegangen…
Die sogenannte „démocarisation de la voile », die vor allem eine Folge der spektakulären internationalen Regatta-Erfolge von Eric Tabarly war, hat in der Tat dazu geführt, dass sich Großserienwerften etablieren konnten, deren Produkte sich dank des rasant wachsenden Marktes massenhaft gut verkaufen ließen. Nur hat es in Frankreich – bis auf ein paar Ausnahmen – niemals eine national breit angelegte Segelausbildung gegeben. Was dazu geführt hat, dass inzwischen etwa die Hälfte derer, die im Sommer mit Yachten auf dem Wasser sind, die Segel nicht bedienen können, weder die Regeln des Wegerechts kennen, noch wissen wieviel Kette man beim Ankern stecken sollte. Ein Indiz für die Haltung vieler französischer „Segler“ ist folgendes Faktum: In der Statistik der Seenoteinsätze der SNSM (französisches Äquivalent zur DGzRS) steht seit vielen Jahren auf Platz 1 das Abschleppen von Segelyachten (meist Charter) die bei bestem Segelwind ihre Dieseltanks leergefahren haben und ohne Schlepper nicht mehr nach Hause kommen.