LIBERTÉ, EGALITÉ, FRATERNITÉ – ODER EXTRA NICHT
Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit, unter diesem Motto wurde eine Nation erbaut, deren Grundfesten heute zur Fiktion verkommen, deren Realität menschlichen Umgangs einige Besonderheiten haben entstehen lassen, die so ganz different denen anderer Nationen sind.
Savoir vivre ist ein geflügeltes Wort, dessen Inhalte französische Engelein allzu schnell fortgetragen haben, weil das Individuum stets über allem steht, anstatt sich geschmeidig einer Gemeinschaft anzuschliessen oder ggf. zu unterordnen.
Meine ersten Frankreich Erfahrungen habe ich im Jahre 1970 sammeln dürfen, bzw. müssen. Eine Reise nach Paris mit französischem Blech, einem schnieken Peugeot 404, endete auf einem Kirchenparkplatz im Quartier Latin, wo er geschont geparkt, weil sein Herrchen fortan mit der METRO seine Ausflüge machen wollte. Quel domais: der Wagen erlitt innerhalb weniger Tage etliche Schrammen und Beulen, was seelischen Schaden bei seinem Chef hervorgerufen hat, da sie anonym zugefügt.
Jahrzehnte der Erfahrung mit französischen Besonderheiten haben in meinem Kopf ein Bild entstehen lassen, dass trotz dauerhafter Sozialisierung, Wille und Egozentrik des Individuums etliche Blüten geschlagen haben, die uns zumindest befremdlich sind. Es genügt eine Fahrt mit eigenem PKW mitten durch Paris, um einen kleinen Einblick zu erhalten, was hier gemeint. Wo eine rote Ampel zum Vorschlag degradiert, wo auf drei spuriger Strasse locker 6 Fahrzeuge nebeneinander fahren, wo zu kurze Parkplätze durch beherztes Rempeln vergrössert, wo Kollisionen im Verkehr mit Verlust des Rückspiegels nicht zur Notiz genommen, geschweige denn angehalten wird, vermag ein deutscher Autofahrer zur Verzweiflung geraten, weil er merkt, dass der Franzose ganz einfach anders tickt, und ihm schnödes Blech scheinbar nicht so wichtig ist.
Als Aussteller auf französischen Bootsmessen habe ich meine Kenntnisse vertiefen dürfen. Ich hatte zu lernen:
– dass der Franzose gerne raucht, vorzugsweise im Beratungsgespräch, wobei zuerst die Asche auf meinen Teppich fiel, hernach die Zigarette dort ausgetreten wurde. Mein Fussbodenbelag wurde stets, komplett durchlöchert, und am Ende der Entsorgung überlassen.
– dass der Franzose vorzugsweise nur französisch spricht, auch wenn er des Englischen fähig ist. Wer sich dem Diktat nicht beugt, wird einsam und vergessen, es sei denn, er gerät an ein verständiges Gegenüber, was so selten ist, wie blauer Enzian.
– dass französische Behörden, also Messeveranstalter, gnadenlos sind, zumindest, wenn es um Preisgestaltung bzw. deren Gegenleistung geht. Viele hundert Euro für einen Parkplatz, der dann nicht existiert weil doppelt verkauft, freche Preise für Bereitstellung einer Strom Steckdose, sanitäre Anlagen … ohlala, einem Messegelände unterhalb der Périphérique, deren Abgase als Frischluft in den Hallen eingeatmet werden.
– dass französische Boat Show Organisatoren eigene Umzulänglichkeiten gern durch Auflagen und Formulare mehr als konterkarieren. So haben z.B. Aussteller sich durch Unterschrift zu verpflichten, für ihren Stand auch für nur kurzzeitige Abwesenheit – den Toilettengang oder Lunch – unbedingt Ersatzpersonal zu verpflichten.
Kurz, wer den französischen Messe Gefängnissen entronnen ist, weiss, wie schön Freiheit ist, zumal der SALON NAUTIQUE in Paris stets 12 Tage Messe Knast bedeutet, weil die Show am Mittwoch aufgebaut und am Montag Abend der übernächsten Woche erst zu Ende ist, was man elegant als Verkehrs Entlastungs Massnahme benennt. Die Wahrheit hingegen: wenn 4 unterschiedliche Messen zeitgleich auf dem gleichen Gelände abgehalten werden, will man natürlich verhindern, dass die Pferde vom SALON DE CHEVAL DE PARIS zwischen den Booten herum galoppieren. Chacun à Son Goût – jeder nach seinem Geschmack, dieser Sinnspruch kann ordnnungsgewöhnte Deutschen schon mal zur Verzweiflung bringen, weil das Individuum stets irgendwie ganz besonders ausgeprägt.
DAS TICKEN DEN FRANZOSEN
Klar, dass der französische Segler ebenfalls besonders tickt, und es soll hier untersucht werden, warum, wieso und weshalb in Frankreich die seglerischen Uhren immer ein wenig anders gehen.
Wohltuend zuallererst, dass Segeln in Frankreich zum Nationalsport avanciert und dort eben nicht die öde runde Lederkugel die Sofasitzer reguliert. Als ich bei der ersten Vendée im Jahre 1989 bei ungemütlichem Wetter im November nach Les Sables D´Olonne angereist, wurde mir schlagartig klar, warum es angehen kann, dass mitten in der feucht kalten Jahreszeit jedes Bett im Ort ausgebucht und ich am Ende am Strand im Wagen schlafend von hunderten Gleichgesinnter umgeben gewesen bin. Der Start geriet schon damals zum Volksfest, das Wasser in der Bucht kochte, und am Ende wurde der Sieger Tituan Lamazou über den Champs Elysée getragen bzw. gefahren. Vergleichbares ist in Deutschland undenkbar, Segeln ist bei uns eine Randerscheinung, und wird es bleiben, weil die Nation so vollkommen anders tickt.
Segeln ist in Frankreich ein Wirtschaftsfaktor erster Güte, ein Blick hinter die Kulissen nationaler und vor allem internationaler Regattaveranstalter genügt, die allesamt von finanzstarken Sponsoren unterstützt, deren Namen auf fliegenden Schiffen um den Globus getragen werden. Die geballte Kompetenz, Erfahrung von Konstrukteuren, Werften und Skippern in Kooperation mit geballter Finanzkraft grosser Unternehmen, sowie breiter medialer Unterstützung, hat Frankreich zur Segel Elite werden lassen.
Die Nation dominiert den internationalen Regatta Zirkus in einer Weise, dass der Vorsprung nahezu uneinholbar geworden ist. Eine glückliche Synthese, weil das Interesse der Grande Nation dahinter steht. Kaum denkbar, dass Segeln in deutschen Medien jemals vergleichbares wird erreichen können, schlicht, weil dieser Sport bei uns nicht massen Interessen tauglich ist. Sponsoren sind nur über öffentliches Interesse anzulocken, wo sich dann eine Marke durch viele Augen in viele Birnen implementieren lässt.
SCHIFFSGRÖSSEN
Ein nachdenklicher Gang durch französische Marinas macht offenkundig, dass dem gemeinen Segler nur geringes Kapital für seinen Lieblingssport zur Verfügung steht. Die Zahl kleinster und kleiner Schiffe ist unüberschaubar, gleichwohl werden selbst anspruchsvollste Reviere mit diesen Nussschalen besegelt, was einige Rückschlüsse auf die Erfahrungs Höhe der Segler möglich macht.
Es ist eine Besonderheit des französischen Marktes, dass sich dort eine besondere Institution hat etablieren können: Die Unité Amateur de France ist eine Vereinigung, die ihre Mitglieder bei der Konstruktion und dem Bau eigener Schiffe unterstützt. Sie ist über das ganze Land verbreitet und besitzt tausende von aktiven Mitgliedern. Die geballte Ansammlung von technischem Know How, sowie die Finanzkraft der Mitglieder haben dazu geführt, dass der UA enorme Einkaufsvorteile eingeräumt werden. Ein typisches Verkaufsgespräch auf französischen Messeständen endet regelmässig mit der Frage nach den besonderen Rabatten für UA Mitglieder. Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass es im Laufe der vergangenen Jahrzehnte offenbar etliche Skandale gegeben hat, die fast regelmässig der „persönlichen“ Bereicherung der UA Mitarbeiter geschuldet waren. Beim Geld werden eben fast alle Menschen schwach, warum sollte das in unserem Nachbarland denn anders sein?
Vergleichbar den bei uns bekannten REINKE und LUFT Konstruktionen, hat es in unserem Nachbarland eine enorme Menge verschiedenster Amateur Konstruktionen gegeben. Fast regelmässig wurde Jahrzehnte lang Stahl als Baustoff gewählt, der in Multiknick Bauweise, vielfach mit Integralkiel oder Schwert von den Selbstbauern favorisiert wurde. Einer der bekanntesten Konstrukteure: CAROFF die bis heute enorm aktiv, unter Blauwasserseglern wohl die grösste Professionalität besitzen.
Aluminium, insbesondere deren seewasserbeständige Legierung Mg4,5 wurde in Frankreich bereits vor Jahrzehnten eingesetzt. Die legendäre Firma GOIOT hat den Werkstoff AlMg5 bereits vor 50 Jahren zur Herstellung von Winschen, Lukendeckeln und Decksbeschlägen eingesetzt. In Deutschland sind Giesserei Betriebe, die diesen anspruchsvollen Werkstoff zu verarbeiten in der Lage sind, selbst heute noch nur mit der Lupe aufzufinden.
Der Werkstoff AlMg4,5mn wurde vermutlich sogar in Frankreich erstmals im Serien Schiffsbau eingesetzt. Aluminium Natur Schiffe – also unlackiertes Blech – dominieren die Blauwasser Schiffs Szenerie dort seit Jahrzehnten. Die Marken BOREAL, GARCIA, ALUBAT, ALLURES, META besitzen heute Weltgeltung, wir werden uns mit den Schiffen später näher beschäftigen.
MEIN AHA ERLEBNIS
In den 70ger Jahren hatte ich ein Erlebnis der besonderen Art, das mir meine Blickrichtung auf Besonderheiten französischer Segler prägen sollte:
Mein verstorbener Freund Wolfgang hatte mich dereinst gefragt, ob ich in der Werkstatt die Hilfe eines „versierten“ Handwerkers und Seglers brauchen könnte. So lernt ich Patrice kennen, damals mit einer hamburger Juristin liiert, die ihm kurz zuvor einen Nachkommen „beschert“, und der nun dabei war, sein neues Leben samt Familie zu reorganisieren, denn als Franzose in Deutschland erschien klar, dass er sich hier seine Zukunft nicht vorstellen wollte. Schon damals wurde Polynesien als Ziel genannt, und ohne das Ergebnis hier vorweg zu nehmen, dort lebt die Familie nun seit einigen Jahrzehnten.
Windpilot arbeitete damals noch als Manufaktur in glänzendem Metall. In der Tat war der Gedanke verlockend, einen versierten Mitarbeiter in der Werkstatt zu bekommen. Die Sache entwickelte sich, however, dann recht schnell in eine ganz besondere – französische – Richtung. Der Job war schnell beschrieben: für meine damaligen Pinnenarretierungen sollten 5 mm Löcher gebohrt werden, eine Serienarbeit, bei der man den Delinquenten ruhig sich selbst überlassen konnte – so jedenfalls meine Idee. Die Praxis however sah anders aus: zunächst wurde der Arbeitsplatz an der Ständer Bohrmaschine umgestaltet: Mein schneeweisser Messe Cocktail Tisch wurde neben die Bohrmaschine geschoben, ein Barhocker daneben aufgestellt, die 5 ltr. Messe Thermo Kaffee Kanne samt Aschenbecher auf dem Tisch platziert und Patrice begann seinen Arbeitstag: hier und dort ein Loch gebohrt, ausgiebig Gauloise geraucht – trotz des Vermerks über eine dezidierte Nichtraucher Werkstatt – Musik auf Power – bis mittags waren einige dutzend Teile gebohrt – man hatte die Arbeit offenbar als Wochenpensum angedacht, wohlgemerkt für einen Job, für dessen Erledigung ich zwei Stunden eingeplant. Nun denn, die Höflichkeit gebot mir, die Füsse still zu halten.
Der Mann war – typisch für Franzosen – enorm charmant, überwältigend unwiderstehlich und zuvorkommend sowieso, ich konnte mich kaum entziehen und beschloss, meinen wachsenden dicken Hals mit kalten Umschläge zu behandeln. Auch wurde mir eines Tages ein Hase mitgebracht, als Bereicherung zum täglichen Mittagstisch. Als Jäger hatte Patrice dem Meister Lampe in Norderstedt ein Bein gestellt, ihm bereits den Pelz geklaut, d.h. ihn ausgezogen, und mir den blutigen Kadaver, locker über die Schulter, beim Einsteigen in meinen roten Porsche, elegant ins Heckfenster geworfen, besser geschleudert. Nicht so schlimm, so dachte ich damals, hatte ich doch ohnehin beschlossen, den Wagen flott wieder zu entsorgen, weil ich unterschätzt, dass dieser Superdeal für mich, eben auch seine Schattenseite hatte: der Wagen war sensationell preiswert – eben weil darin lange eine Leiche „geschlafen“ hatte – mit geruchstechnischen Folgen, die man nie hätte beseitigen können, was ich total unterschätzt. Merke: Was nützt ein schicker Puppenfänger wenn er stinkt, auch wenn er mich nicht gelinkt. Mein Entschluss folgte stante pede – der Wagen musste schleunigst weg.
Mein deutsch französisches Arbeits Abkommen war nicht von langer Dauer, weil wir ideologisch Lichtjahre auseinander lagen. Dies wurde schmerzlich überdeutlich, nachdem mir Patrice meine schmähliche Position als Unternehmer und Ausbeuter aufgezeigt, weil ich gewagt, ihm einen Job anzubieten und ergo die soziale Verantwortung für ihn mit Haut und Haaren zu übernehmen hätte, denn eigentlich habe er als Vater eines Babies, Anspruch auf bezahlten Urlaub ( ! ). Ich war perplex: der Mann hatte seinen Job doch erst nach der Geburt angenommen. Der Job war nicht von langer Dauer, meine Seele schrie zu sehr Aua.
Wir haben hernach uns einvernehmlich – also nicht unter Tränen – getrennt, ich habe eine überdimensionierte Pacific Edelstahl Anlage als Bonus der finalen Bezahlung hinzugefügt… und brachte den Mann samt seinem enormen Handgepäcks hernach zum Airport, wo er die Damen bei Air France zur Verzweiflung brachte. Immerhin: der Mann war weg. Gleichwohl war das nicht das Ende der Geschichte.
Patrice hat sein Abenteuer Richtung Westen zielstrebig umgesetzt. Sein Gefährt war zunächst ein Holz Drachen, der zur Erhöhung der Seetüchtigkeit ein wenig aufgeplankt, ummehr Freibord zu erreichen. Dies Schiff wurde später im Rahmen einer genialen Aktion später gegen eine Stahlrumpf ohne Möbel und Mast vertauscht, weil man mit einem Drachen eben keine Familie trocken über den Atlantik hätte transportieren können. Als Mast wurde ein Telegrafen Mast auserkoren und solide ins Schiff gestellt. Im Bereich des Kockpits wurde ein Loch ins Stahldeck geflext, um fortan mit Hilfe einer Trittleiter die Gemächer unter Deck zu erreichen. Ein basic Boat ohne jegliches Brimborium, wie man sie in Frankreich an jeder Ecke findet. Schiffe, die bei uns nur mitleidiges Lächeln erzeugen, weil man sie allerhöchstens im Binnenlands zwischen sicheren Brücken verwenden würde.
Jedenfalls ist Patrice samt Frau und Erben über die Kanaren gen Westen aufgebrochen – und in Martinique auch angekommen, wo er allerdings weit draussen auf Reede vor Anker gegangen ist, weil das Schiff die in Frankreich gesetzliche notwendige Klassifizierung nicht erfüllen könnte, ergo man vorsorglich ausserhalb behördlich kontrollierter Zone seinen Landgang per Dinghy rudernd organisierte.
Die Geschichte bekommt ihr rundes Ende, als mein Freund Wolfgang gemeinsam mit seiner frisch angetrauten Frau Göttergattin, zwecks Hochzeitsreise nach Martinique einflog … weil man gemeinsam mit seinen französischen Freunden ein paar unbeschwerte Segeltage auf deren Yacht verbringen wollte. Dummerweise hatte das verliebte Paar ihr segelndes Refugium zuvor noch nie gesehen.
Er ergab sich angelegentlich, dass die Eheleute, leicht erschöpft vom langen Flug und dem Transfer an den besagten Beach von Martinique mitsamt ihren Rollkoffern im Strand stecken blieben … final von Patrice per Dinghy ohne Motor am Strand aufgegabelt und zum ankernden Schiff hinaus gerudert wurden. Dem Vernehmen nach hat man dann gemeinsam zu fünft die Nacht in einem 9 m Stahlrumpf ohne nennenswerte Möblierung auf Matratzen und Campingliegen verbracht. Der Schlaf soll, heftig schaukelnd, nahezu subito eingetreten sein.
The morning after the night before folgte dann ein denkwürdiges gemeinsames Frühstück unter Deck, in dessen Verlauf Patrice dann angelegentlich seinen Campingstuhl gegen einen alten Eimer vertauscht … und seinen Morgenschiss direkt am Campingtische absolvierte…. Jedenfalls ist überliefert, dass die geplante Hochzeitsreise nur einen Wimpernschlag später an ihrem Ende angekommen ist…weil man die Lokalität gegen ein Hotel an Land vertauschte … da zumindest die weibliche Hälfte sich das Ganze recht offenbar vollkommen anders vorgestellt. Der Erinnerung nach hat die Braut ihrem Prinzen anschliessend eine enorme Kopfwäsche verpasst.
Patrice lebt samt Familie seit Jahrzehnten in französisch Polynesien, wo er als Tischler und seine Frau als Lehrerin arbeitet.
Die Geschichte einer unvergesslichen Hochzeitsreise hat Jahrzehnte überdauert.
Fortsetzung folgt – ganz garantiert
versichert gerne
Peter Foerthmann