FAST 80 JAHRE ALT – JUNG – UND KEIN ENDE IN SICHT
Kein Mensch ist von Geburt an fertig und ich bekenne, dass ich da keine Ausnahme bin. Obwohl ehrlich? Ich habe das früher different gesehen, weil ich damals frech davon ausgegangen bin, dass ich bereits zum Zeitpunkt der Niederkunft meiner geliebten Mutter, endfertig produziert gewesen bin. Eine Frechheit, die ich mir heute gern verzeihe, weil man sich hinter Altersweisheit recht einfach verstecken kann. Ich war damals frech, hatte lange Beine … und konnte bei Gefahr recht schnell laufen … meinen Spitznamen bei der Seefahrt hatte ich bereits in der ersten Woche weg: Morphy Blitz … die Idee kam nicht von mir! Vielleicht war das bereits eine Metapher? Ich konnte das Wort allerdings damals noch gar nicht richtig buchstabieren, vermute also positiv, dass die Dinge schon früh ihren Anfang genommen haben.
In Hamburg Winterhude, einen Steinwurf von der Alster am Rondeel Teich voller Seerosen aufgewachsen, hatte mich der Geruch von Moder und feuchtem altem Holz schon recht früh fasziniert, sodann eines Teils meiner Sinne beraubt. Der andere Teil war vergleichsweise fleissig und hat auf trockenem alten Holz vergleichsweise virtuos die Geige gespielt, zum Vergnügen meiner Mutter und sehr zum Wohle meiner Noten, die mir halfen, auf der Waldorfschule Zensur Hürden elegant zu überspringen, weil dort dezidierte Begabungen mit Faulheiten in anderen Fakultäten verrechnet werden konnten. Mit meiner Geige und fantasievollen Farbklecksereien im Kunstunterricht habe ich vermutlich meine Lehrer meschugge gemacht – und das Abi sodann locker hinter mich gebracht, d.h. bestanden – über das wie und warum habe ich nur geringe Erinnerungen, hat allerdings hernach niemals mehr ein Hahn danach gekräht, es genügte stets, mit dem Wort Waldorfschule zu wedeln oder zu winken, dann hatte man seinen Ruf schon weg, nicht unbedingt immer nur im positiven Sinne. Für mich galt schon früh die Lebensmaxime: als Autodidakt gibt man sich selbst den Takt, eine Lebensform mit Prioritäten abseits jeder Norm, zumindest, wenn man im Kopf einigermassen top in Form.
Ich erwähne diese Zusammenhänge, weil ich mich ansonsten zu kneifen hätte, weil ich selbst heute noch nicht glauben kann, dass ich damals so dumm gewesen bin, infolge überstarker Wünsche nach motorisierter Fortbewegung, meine Violine gegen eine Fahrmaschine zu verkaufen bzw. zu vertauschen – unwiderruflich, konsequent, wie das letzte Unterhemd. Ich bekenne heute: ich bereue die Violine zutiefst! Aber ein DKW mit Frischölautomatik, Dreizylinder und homokinetischen Antriebsgelenken, Blaupunktradio und – Liegesitzen! – zudem Heckflossen, wie sie damals an Amerika denken liessen … hatte damals eben besondere Reize, nicht nur weil deutsches Blech vom Vorreiter von Audi, damals tatsächlich schon als Avantgarde gegolten hat. Es ging um schnöden Besitz und ein eigenes Dach, unter dem man so Sachen machen konnte, wenn die Gelegenheit es erlaubte. Zudem konnte man mit 30 PS die Kasseler Berge im 3. Gang rauf-flitzen, runter hätte man 6 davon gebraucht … und einen Blitzer am unteren Ende gabe es damals auch noch nicht.
Beim Bau meiner kolossalen ersten Yacht auf unserem Balkon, 175 cm lang und 110 cm breit, war ich ungefähr 10 Jahre alt. Ein paar Leisten, viele Meter Nesseltuch, mit Kappnaht vernäht – das konnten die Schneiderinnen in Opas Geschäft meisterhaft! – brauchte ich das Holzgerippe nur noch zu bespannen, hernach mit Leinenöl Firniss zu imprägnieren, zu lackieren – und fertig war die Yacht. Taugte zum Angeben allerdings eher wenig, eine Alster Tour nach Ohlsdorf, um mich dort der staunenden Klasse zu zeigen – endete blutig, weil ich vergessen hatte, die eckigen Riemen abzurunden. Dumm gelaufen für die HandInnenFlächen – eine derbe Lektion – das Schiff hiess Nico wie mein damaliges Pferd in Sankt Peter Ording – war mit Brief und Stempelmarke bei der Waschpo angemeldet – und verblieb für die dann folgenden 45 Jahre im Kohlenkeller meiner Mutter, wurde final vom Sperrmüll erlöst, weil ich vergessen hatte, meinen Bruder darüber zu instruieren, dass es sich hier um ein Stück Peter-Geschichte handelte. Nochmal dumm gelaufen!
Abgesehen von Durchgangsstadien bzw. Randerscheinungen in Form etlicher Jollen und anderem segelnden Kleingetier, bin ich in den Folgejahren recht flott auf die Zielgerade für solide Langkieler eingebogen. Mit mehreren Jobs in Personalunion, die zeitgleich mit dem Studium zu koordinieren waren, zudem multiplen Aktivitäten als Mechaniker für Enten- und Schiffsmobile, war mein Leben randvoll bis zum Dach. Langeweile jedenfalls war nie mein Ding. Der Ehrgeiz biss in die Hacken, die Zeit brannte Löcher ins Hemd, meine Familie erlebte mich meist nur laufend, rennend oder rasend. Vermutlich mein Lebensstigma.
Es gibt Prägeschiffe, die Einfluss auf den weiteren Lebensweg von Menschen haben. Warum sollte das bei mir anders sein? Folke Junior kannte ich bereits, konnte infolge geringen Freibords auch schon mal über die Leeseite volllaufen und sodann auf Grund gehen. Das ist mir zum Glück nur einmal auf der Elbe passiert, querab Blankenese wollte ein Stack mit gewagter Höhe schnibbeln, um eine weitere Wende zu umgehen. Dumme Lehre: stundenlang pützen vor Zeugen am Strandweg – eine herbe Erfahrung fürs stolze Ego eines forschen Seglers.
Aber ich dachte bereits früh an eine Yacht mit Schlafmöglichkeiten, falls man mal nicht allein, seine Glieder strecken wollte, bzw. eine Eroberung des gegnerischen Geschlechts beim Nahkampf unter Deck untersuchen wollte, was man vorzugsweise nur liegend oder räkelnd erledigen konnte.
FG 126 war ein Lind Bau in Lerche Natur aus Dänemark, lag zwischen Schilf im kreisrunden Hafen von Neustadt, der Eigner hiess Meyn … und war bald meins. Das Schiff hat Schäden in meiner Seele hinterlassen, exakt jene, die tausende Segler rund um den Spielball identisch empfinden, denn wer einmal Folkeboot gesegelt ist, ist hin und weg … wird diese Prägung kaum vergessen, auch wenn er im weiteren Lebensverlauf andere Schiffe geküsst und besegelt hat. Genau wie ich. Die Folke Lektion sitzt for ever in der Birne fest, wie eine Droge, der man verfallen ist.
Die Strecke der von mir in den Folgejahren erlegten Langkieler war erklecklich, in meinem Verein in Wedel wurde ich zum Aussenseiter, weil bald kaum noch ein Segler bereit und in der Lage war, lückenlos meine Schiffe im Verlauf von wenigen Jahren aufzuzählen: Folke Junior, Folkeboot, Bianca 27, Tumlare, Böhling 5 KR, Trintel IIB, A&R 6 KR.
Mit 25 Jahren habe ich einen Kaufvertrag für eine brandneue Bianca 27 unterzeichnet, die ich 8 Monate später in Rudköbing zusammenzubauen plante – ich wurde damals sozial zunehmend isoliert, einige Leute zeigten mir schon mal den Vogel, weil sie kaum folgen konnten oder wollten, was in meinem Kopf so vorgegangen ist: ein Zeitraffer Leben von Schiff zu Schiff, das mir finanziell besonders gefallen hat, weil sich das Geld unmerklich und ganz still vermehrte, dass es garnicht weh´ getan hat. Ein Leben im Schiffs Schlaraffenland, mit denen man sein Leben wunderbar auspolstern, optimieren und sich zudem Wünsche wie Doppelauto und Sommerhaus erfüllen konnte.
Da in meinem Leben niemals Platz für Neid gewesen ist, habe ich meine soziale Isolation eher auf missliebige Körpergerüche oder meinen Vollbart zurück geführt, oder gar auf meinen Hund Max Förthmann, einer Charakter Töhle, der Aversionen durchaus prägnant äussern konnte, wenn ihm etwas nicht so richtig passte. Kurz, wir wurden zu einem besonderen Gespann, das ständig und immer gemeinsam aufzutreten pflegte, beim Segeln, Autofahren, Studium und zu Weihnachten, wenn der Köter seinen Trieben folgte und ich im Schneetreiben bis ins Alstertal hinterher zu laufen hatte. Sein Anblick derart herzzerreissend bedröbbelt, dass ich ihm sofort verziehen … und auf das heimische Sofa hinauf geholfen habe.
Abgeschweift – Entschuldigung – Richtig: Folkeboote! Sie kamen immer wieder in den Fokus, erst geklinkert, was beim Schlafen vor Anker lästig, weil jede Planke ihr eigenes Geräusch zu machen pflegte, später dann in der geräuscharmen Version IF, das vor Anker die Klappe hielt. Selbstlenzend, der grosse Luxus, weil endlich die Haferflocken in der Bilge trocken bleiben konnten, wenn Rasmus einmal frech ins Kockpit spukte. Wahlweise mit 5 PS Marstal Einbaumotor schwer im Gatt, dessen Zündungen man langsam mitzuzählen hatte, oder Extra Aufbau vom Balaton in Ungarn für besseren Rundumblick im Hafen, nur noch leicht gebückt. Heute würde man das mit Decksalon bezeichnen, recht ähnlich wie die ersten Hanseat Yachten, damals noch im Doppeldecker Look.
Folkeboote sind zum Evergreen mutiert, mit bis heute tausenden Einheiten rings um den Globus, zudem einer unzähligen Strecke von Derivaten, um hier oder dort Vor- gegen Nachteile auszumerzen bzw. umgekehrt. Nur ein paar davon seien hier erwähnt: Walton 25, Contessa 26, Marieholm, IF, Bowman 26, Invicta 26, Hurley 27, Halycon 27, Bianca 27, Whitby 25, Amigo 27. Bestimmt habe ich noch etliche vergessen, aber dies ist nur eine flotte Geschichte, das Gegenteil von Recherche, zu der mir die Zeit fehlt, von der Lust nicht zu reden.
Ohne mich hier zu verlieren oder zu spekulieren, die Spezies Folkeboot hat tausende Herzen weltweit erobert, die Schiffe sind nahezu wertstabil, mein damaliger Lind Bau hat im Jahre 1970 DM 14.000 gekostet … wird heute zum vergleichbaren Beträgen in Euronen gehandelt … Währungsreform bereinigt.
Folkeboote kennenzulernen ist auch mit SCHNUPPERSEGELN möglich, an der Schlei sind betagte Holz-Folke für Tages oder Wochentripps anzumieten
Ich habe damals wie heute diese Boote als für Segler logischen Schritt eines vernünftigen seglerischen Werdegangs empfunden, auch wenn ich natürlich akzeptiere, dass junge Menschen heute andere Prioritäten hinterherlaufen mögen. Gleichwohl beinhaltet die ausgewogene Konstruktion dieser Schiffe immer noch das Nonplusultra eines soliden Schiffes, das nahezu unbeschränkt einsatzfähig ist … solange die See nicht über die Kante schwappt, die Gardinen rechtzeitíg verkleinert werden und Seemannschaft nicht im Kielwasser über Bord geworfen wird.
Why the Folkboat is the most popular cabin yacht of all time: a design analysis
Natürlich konnte es nicht ausbleiben, dass Steuerfaulheit auch unter Folkebootseglern grassieren sollte. Meine Pacific Light wurde in den vergangenen Jahren an einer erstaunlich grossen Anzahl montiert, kann ich fast nicht mehr zählen. Auch interessante Reisen in europäischen Gewässern wurden absolviert, Bücher geschrieben, Videos gedreht. Alles im Netz nachzulesen.
Herausragend bleibt allemal der Versuch und Plan eines deutschen Weltumsegler Aspiranten, der allen Ernstes den Plan ins Auge gefasst hatte, mit seiner He-Kate um die ganze Welt zu segeln, der Seezaun immerhin war bereits angebaut.
Ich erinnere mich an ein Treffen in Gelting, bei dem Gustaf Adolf zu einem Grillabend eingeladen hatte, wo ich vermutlich ebenso wie Wilfried Erdmann ein wenig ungläubig mit den Ohren gewackelt habe. Ich glaube Gustaf hatte damals infolge einer recht frischen enorm grossen Liebe und der ihm dort unverhofft unterbreiteten Nachricht neuer Nachkommenschaft, kurzfristig umdisponiert – und ist folglich – bzw. folgsam? – an Land geblieben. Wenn ich mich richtig erinnere, war damals das Kockpit noch nicht einmal auf „selbst-reinigend“ umgerüstet, sodass die See stets das ganz Schiff über die Plankengänge bis zum Vorschiff durchzuspülen in der Lage gewesen wäre. Das Leben ist eine steter Kompromiss bzw. Güterabwägung:
Will man die Haferflocken bereits eingeweicht … oder lieber trocken in der Tüte.
Hamburg 19.05.2020
Peter Foerthmann
Happy birthday Peter 😉
Und genau so läufts im Leben, wenn man doch nur seinem Inneren folgen darf.
Aus der Fliegerei kommend mit sehr sehr ähnlicher Biographie jedoch nicht nur in Gedanken fliegend sondern ganz real. Selbstredend ohne Motor, mit den schlanken leisen Flügeln eines nun auch fast 50 Jahre alten – noch immer modernen und allen Ansprüchen genügenden – Segelflugzeuges.
Irgendwann verschlug mich ein Zufall in eins der alten Folkes in Maasholm und schon wars geschehen. Nicht Covid 19 sondern ein anderer weitaus angenehmerer Virus sprang über und nun wird geschliffen, gehobelt und geleimt um eine der Nussschalen von Th. Lind auf eine Langfahrt um die Ostsee vorzubereiten.
Welch ein Privileg, über Zeit und die Gnade der Handwerkskunst zu verfügen.
Fliegen und Segeln hat so vieles gemeinsam. Beides ist ein Tanz in einer anderen Dimension.