Peter´s Flotte #3

Vom Traum zur Wirklichkeit – ein Eigner Report

Nanu, ein Blog über Motorboote? Eigentlich ein No-Go, jedenfalls für Segler, deren Vorurteile in Beton gegossen – die die Nase stets prophylaktisch rümpfen – oder die noch nie ein Hinckley Picnic Boat gesehen haben. Wobei Hinckley Yachts als US Äquivalent zu Abeking & Rasmussen für den Bau wunderschöner Segelyachten berühmt geworden und erst zum Beginn der 90 ger Jahre ihr Herz für Motorboote entdeckt, um zielstrebig auch in diesem Marktsegment Ikonen zu reüssieren.

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Der Begriff des PICNIC BOAT steht seither Synonym für eine Ausnahmeerscheinung, die auch in Seglerköpfen Assoziationen weckt, was einer Summe markanter Merkmale geschuldet ist:
– dem Look klassischer Lobster Boote aus der Feder von Bruce King
– den modernsten Fertigungs Methoden unter Verwendung von Kevlar und Vakuum Verfahren in Synthese mit Detail versessener Akribie traditioneller Bootsbaukunst
– dem revolutionären Einsatz eines Jet-Antriebs und Einführung der JetStick – Technologie

Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass Hinckley Yachts neben dem Picnic Boat auch die TALARIA Yachten von 34 – 55 Fuss mit ähnlichem Erscheinungsbild produziert.

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Das Picnic Boat ist ein Boot mit nur geringem Nutzwert, hic der Name, jedenfalls wenn man herkömmliche Maßstäbe bemüht, wobei Vergleiche schwierig, weil sie kaum vorhanden sind. Ein Toy-Boot für Enthusiasten, das BRUCE KING Design wurde bis zum Jahre 2007 ca 380 Mal gebaut, siehe

Während unzähliger USA Aufenthalte haben mich diese Boote immer wieder fasziniert – und ich habe mir geschworen: irgendwann bist Du meins! Hat 20 Jahre nicht geklappt, weil ein Neukauf unrealistisch und ein Gebrauchtkauf in den USA durch Seetransport, EU Verzollung / Versteuerung und CE Konformitätserklärung jede ernsthafte Überlegung im Keim erstickte. Gründe genug, warum diese Schiffe in der EU nur handverlesen vorhanden, zudem veritabler Bremsklotz für jeden Importeur, der sich hier Hoffnung auf Umsatz machte. Auf etlichen Boat Shows in Europa wurden den Besuchern die Köpfe verdreht, beim Betrachten der Preistafel ist allseits der Schluckauf ausgebrochen.

Auf der Mauer, auf der Lauer: ein Schiff, das viele Jahre am Markt einen Käufer suchte, hat am Ende seinen Weg zu mir gefunden.

Hier ist der Beginn einer Geschichte, die den plötzlichen Übergang beschreibt vom Traum zur Realität – eher eine Landung in derselben.

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VOM TRAUM ZUR WIRKLICHKEIT
Die Stunde der Wahrheit schlug am Pfingstfreitag den 6.6.2014 auf dem Gelände des deutschen Hinckley Vertreters in Kappeln. Die BLUESIANA hing frisch revidiert im Travellift, wurde nur noch von einem Gurt gehalten, um die Maschine zu starten und die JetStick Funktionen zu überprüfen. Hoppla, was war das? Eine Warnlampe am Mainboard zeigte rot – der Zentralrechner des Schiffes, ohne den weder Steuerung noch Antrieb korrekt funktioniert, war auf Störung, ein korrektes Manöver damit nicht möglich. Wir entschlossen uns – weil Freitag Feierabend – das Schiff mit langen Bootshaken Richtung Fahrwasser zu drehen und zu schieben, schliesslich lag unser Liegeplatz ja nur wenig entfernt. Mit Fingerspitzengefühl und in Leerlaufdrehzahl sind wir dort angekommen.

P1010823Es folgte ein Pfingstwochenende der besonderen Art: eine Schadensanalyse sowie Lektion über die komplexe Technik eines Schiffes, die ihresgleichen sucht. Zehn ( ! ) gebundene Handbücher in zwei soliden Segeltaschen, wurden konsultiert, Standart bei jedem Hinckley Schiff. Da sollten sich doch wohl Erklärungen finden lassen? Meine erste Vermutung: ein fehlendes Manual über die JetStick Technologie. Stimmte aber nicht, wie ich wenig später erfahren musste. Statt eines Handbuches wurde mir später ein „Technician Guide“ Hinckley Techn. guide Kopievom Hersteller zugeschickt, zudem habe ich mir aus dem Netz ein „instruction book“ herunter geladen – beide haben mich mehr irritiert, als dass sie mir geholfen hätten. siehe …. iqan-mdm_uk_ed0607_Parker Original

Zum besseren Verständnis, eine Kurzbeschreibung des Antriebssystems:

Hamilton Jet

JET-ANTRIEB
Der HAMILTON JET ANTRIEB – eine mächtige Wasserpumpe – ist innerhalb des Schiffes installiert, was Antrieb und Steuerung gegen Schäden durch Treibgut, Hummerkörbe, Fischernetze oder Grundberührung unempfindlich macht, zudem Vibrationen durch Propeller nicht existent, weil der nicht vorhanden ist. Der Wasserstrahl wird durch eine seitlich verdrehbare Düse zum Steuern und durch den vertikal beweglichen Deflektor – ähnlich der Schubumkehr beim Flugzeug – zur Vor- und Rückwärtsfahrt umgelenkt. Ein überaus robustes System, das in der kommerziellen Schiffahrt und beim JetSki weit verbreitet eingesetzt. Ein System, das einen Bremsweg von 30 kn auf Null innerhalb einer Schiffslänge möglich macht – wenn man sich zuvor angeschnallt.

Der JETSTICK ( TM ) ist eine Joysticksteuerung von drei Achsen, wie aus dem Maschinenbau bekannt:
X-Achse: Bugstrahlruder
Y-Achse: vertikale Bewegung des Deflektors zur Schubumkehr vorwärts / rückwärts
Z-Achse: seitliche Bewegung der Jet Düse zur proportionalen Steuerung
Die Besonderheit des Systems besteht darin, dass der hydraulische Ölfluss aller Achsbewegungen durch progressive gleichwohl minimale Stromstärken zielgenau zu erreichen ist. Das Schiff erhält dadurch eine Manövrierfähigkeit, wie sie mit konventionellen Antrieben kaum erreichbar ist, weil der Jet stets im Vorwärtsgang pumpt und sowohl Düse als auch Deflektor nach einer jeden Aktion selbststätig in eine neutrale Stellung retournieren, was das Schiff auf der Stelle verharren lässt. Wenn herkömmliche Bugstrahlruder nur den Bug seitwärts bewegen können, so ist der Jetantrieb in der Lage, wahlweise mit dem Heck, oder dem ganzen Schiff Ballett zu tanzen.

DIE ZENTRALEINHEIT
Das Herzstück eines jeden JetBoats ist eine Zentraleinheit, die die Befehle des Joystick´s umsetzt und gezielt den jeweiligen Hydraulikzylinder ( E-Motor des Bugstrahlruders ) der drei Achsen selbst minimale Bewegungen ausführen lässt.

ZWEI SYSTEMARTEN
In der Entwicklungs Geschichte der JetStick Steuerung sind zumindest zwei Systemarten zu unterscheiden:
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1.- Ein MIKROPROZESSOR, der aus anderen industriellen Anwendungsbereichen bezogen und mit einer für das jeweilige Schiff abgestimmten Software programmiert, elektronisch die Ausführung aller Steuerbefehle vornimmt. Ein derartiges System war in meinem Boot installiert und verantwortlich für den schlechten Start in mein Schiffs Abenteuer, da es ganz offenbar über keine interne Redundanz verfügte, welches bei Ausfall der Mikroprozessores die Aufrechterhaltung der Steuerung hätte sicherstellen können.

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2.- Die KONTROLLEINHEIT – auch Robotics oder Electronic Circuit genannt – wird als analoge Massanfertigung für ein jedes Schiff konfiguriert und gebaut, in der für jeden Steuerbefehl dezidierte Parameter voreingestellt und den Steuerelementen in Bezug auf Ölfluss, Bewegung, Endstop des jeweiligen Hydraulikzylinders, sowie deren Rückkehr zur gewünschten Mittelstellung, elektrisch und über Potentiometer kommisioniert / justiert / zugewiesen wird. Mikroprozessoren samt Software sind nicht vorhanden, weil jeder Steuerbefehl eigens kallibriert und für immer im System reproduzierbar bleibt, jedenfalls solange Druck an der Hydraulikpumpe und Strom aus der Batterie vorhanden sind. Störfälle werden so nahezu ausgeschlossen, insbesondere, wenn die Bauteile gemäss MILITÄR STANDARDS hergestellt werden.

Worauf kommt es also an?

Es gehört wohl zu den Besonderheiten der Beziehung zwischen Kunde und Werft, dass den Hinckley Jetboat Eignern stets eine persönlichen Schulung / Einführung angeboten wird, in deren Verlauf sie detailliert in die technischen Systeme eines Schiffes eingewiesen werden. Eine weitere Besonderheit dieser Boote, die überwiegend in den USA betrieben werden, mag vermutlich in der Tatsache begründet sein, dass viele Boote sich im Vollservice der vielen Hinckley Service Center befinden siehe

Die Situation für Schiffe, die ihren Standort ausserhalb der USA haben, ist grundlegend anders, weil ein entsprechendes Service Netz dort nicht vorhanden ist. So gesehen, kommt der Aufrechterhaltung der Funktionssicherheit dort eine andere Bedeutung zu. Dies sollte in einer anderen Art von Dokumentation seinen Niederschlag finden, sodass ein Eigner in Not, sich hier ggf. selbst helfen kann.

DIE GESCHICHTE DES JETSTICKS
Im Rahmen eines Gespräches auf den Werft Stegen hatte der frühere Miteigner von Hinckley Yachts, SHEP McKENNEY im Jahre 1995 TOM SERRAO befragt, ob er in der Lage sei, eine Joysticksteuerung für Jet Antriebe zu entwickeln. Als Fachmann der Regelungstechnik hatte Tom Serrao bereits jahrelange Erfahrungen bei Anwendungen jeder Art, von Vergnügungspark Fahrgeschäften, der Medizintechnik, telekommunikativen Anwendungen bis in den maritimen Bereich vorzuweisen. Das Grundkonzept für den JetStick war innerhalb weniger Tage entworfen. Serrao ist als Erfinder verschiedener Patente für den „JetStick“ ( TM ) seither einschlägig vermerkt.

P1010801Als ausgewiesener Fachmann im Bereich von JoyStick Steuerungen für Yachten hat Tom Serrao in Jahre 1992 eine eigene Produktionsstätte in Bangor / Maine aufgebaut. Seine Systeme wurden seither auf ca 275 HINCKLEY Schiffen aller Grössen montiert und sind weltweit auf über 1000 Schiffen vom Daycruiser bis zur 200 ft Superyacht in Betrieb. Die 178 ft US Super Yacht STARFIRE hat über 2 Mio Meilen mit Tom´s System absolviert und ist nonstop weltweit unterwegs.

ENTSCHEIDUNGEN
Zurück zur Agenda: Pfingsten – ein Schiff mit defektem Zentralrechner – weit und breit keine Hilfe – auch der deutsche Hinckley Vertreter hatte keinen Rat parat. Die Internet Suche wies den Weg zum Erfinder der JetStick Technologie: TOM SERRAO von der Firma Control Engineering. Innerhalb einiger Mailwechsel, von Bord über WiFi geführt, wurden die Ursachen analysiert: Der Rechner war „frozen“, eine rote Warnlampe erlosch nach dem re-boot für wenige Minuten, um kurz danach erneut aufzuleuchten.

Nach eingehender Beratung mit Tom Serrao habe ich mich für den Einbau einer analogen Kontrolleinheit entschlossen, vor allem, weil sie ein redundantes System beinhaltet, das im Notfall die Steuerung aufrecht erhalten kann. Zudem habe ich das Gefühl, dass ein derartiges massgeschneidertes System den Erfordernissen an Bord eines Schiff in einem nassen Element, besser gewachsen ist als ein Mikroprozessor, der für eine andere Umgebung konzipiert. Übrigens waren Kontrolleinheit Systeme regelmäßig in Picnic Booten bis zum Jahre ca 2006 verbaut.

Der Reparatur Vorschlag von Tom Serrao lautete: Austausch des Mikroprozessor Systems durch eine analoge Kontrolleinheit vom Typ JSC2100SJ. Eine Entscheidung mit finanziellen Folgen, weshalb ich einige Tage Bedenkzeit erbat.

S1020013Nach eingehender Mail Korrespondenz sowohl mit Tom Serrao, als auch den Werftvertretern, haben mich Tom´s Argumente vollends überzeugt und ich entschied mich, ihn mit der Herstellung und Montage einer Kontrolleinheit zu betrauen. Ich sollte es nicht bereuen.

FAKTEN HEUTE:
– der auf meinem Schiff montierte Mikroprozessor hatte seine Memory verloren
– am JetStick Controll Board wurden zwei Kurzschlüsse festgestellt

Tom Serrao hat sein System im Verlauf eines 4 tägigen Deutschland Besuches installiert und nach Probefahrt an mich übergeben.
P1020323Ich habe einen Mann kennen gelernt, der sein Metier wie wohl kaum ein Zweiter beherrscht. Seine geballte Fachkenntnis sowie seine methodisch ruhige Vorgehensweise haben mein Vertrauen gewonnen, zudem er kein Mann grosser Worte, hingegen ein hands-on-Techniker ist und dabei authentisch und überaus sympathisch ist. Tom Serrao 54, ist Amerikaner mit italienischen Wurzeln, er lebt in Bangor Maine und Florida.

Starfire_2Er hat unzählige Systeme gebaut und installiert, u.a. auf Bruckman, Baja, Super Yacht Design Carlisle, Carolina, CW Hood Yachts, Canadian Yacht Sabre, Castoldi Jet, Dovercraft, Ellis Boat Designs, Hatteras, Huckins, Hunt Yachts, Little Harbor, Sheaffer Boats, Vichem, Watkins, Wellcraft, Yamaha und vielen anderen!

Wie ich Hinckley Yachts gegenüber bemerkte:

Hinckley should roll a red carpet to Tom Serrao who provided perfect support within 10 minutes to a desperate owner who was in urgent need of help. Tom did a straight and perfect support yet, praising the Hinckley boats.

Nun hat mein Boot ein neues Herz vom Erfinder der JetStick Technik, ein Herz, das doppelt schlägt, weil es Redundanz beinhaltet, damit zukünftige Manöver nicht nach dem Motto gefahren werden müssen: kernig gerammt ist besser als lahm angelegt.

Angekommen in der Wirklichkeit – I live and learn
Peter Foerthmann

QUELLEN:
US-Harbors.com
Boattest
Zoominfo.com
Yachtingmagazine

2 Antworten zu Peter´s Flotte #3

  1. Thomas Case sagt:

    Peter,
    A really interesting article – like you I have a Hinckley Jet Boat 3,000 miles from the nearest Hinckley Service centre and over the last 5 years or so I have found that the key to satisfaction is a really good marine electrician who knows the boat inside out – everything except the Jet Stick and some of the electronics is pretty standard and easy to get serviced. Build quality on the boats is great and they are as pretty as a motorboat can be – my only criticisms are that the majority of the storage lockers can only be accessed by lifting cushions which is a pain.

  2. Blake Rose sagt:

    Dear Peter,
    A very interesting article for a fellow Picnic Boat owner. I also spent a long time looking for a Hinckley Picnic Boat in Europe and finally found one in 2015.
    Would you mind giving some further feedback regarding the system that you had installed by Tom Serrano. How has the system performed in the intervening 5 years and please excuse the question but what was the rough original installation cost. I presume it is not Hinckley certified.
    We have loved our 2000 Picnic boat here in the UK but aware that the marine environment is not kind to electronics so looking at alternatives to the incredibly expensive Hinckley Jetstick upgrade package plus engineer travel from the USA.
    Any help appreciated.
    Regards
    Blake

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