Vassilingalou – tiefe Landung

BEACH SPEKTAKEL

tiefe_landung

Wenn die großen Maschinen aus Europa über den Strand zur Landung ansetzen, hat man das Gefühl, man könnte sie berühren. In wenigen Sekunden ist das ganze Sichtfeld völlig vom Flugzeugbauch besetzt. Noch so viele Physik-Stunden können dem Verstand nicht klarmachen, wie ein solches Blech-Ungetüm fliegen kann. Ein kribbelndes Gefühl. Zweifellsohne. Das, und das Starten, das Spüren der Vibrationen, der enorme Druck der Düsen, der hochgewirbelte Sand. Einmalig. Dazu viel Bier, Rum und was sonst das Herz begehrt. Der Rausch kann gut vorberechnet werden, denn der Flugplan ist groß an der Bar ausgelegt.

Strahlende Sonne und türkisfarbenes Wasser. Jeder möchte diese Erinnerung von der Insel mitnehmen. Möglichst mit sich selbst im Vordergrund, versteht sich. Es wird Regie geführt, Berechnungen der Winkel, Belichtung. Der Selbstdarstellung sind hier keine Grenzen gesetzt. Als die „Air Caraïbe“-Maschine um zwei Uhr ihren Blast gegen den Strand richtet, fliegen einer jungen Familie gleichzeitig die Kamera und das Kind auf und davon. Beide Eltern stürzen sich panisch hinter der Kamera ins schäumende Wasser. Aktion…und Cut!

Wir sind bei ihm an Bord zu Abend eingeladen. Er ist noch keine sechzig und trägt einen grauen Pferdeschwanz. Provokativ sind seine Fragen. Seine Meinung kommt ungefragt und duldet keinen Kommentar. Sie sitzt bequem in allen Themen. Zumindest allen, die wir im Laufe des Abends ansprechen. Dabei sprechen Inga und ich wenig. Vielmehr hören wir einiges über richtige Entscheidungen, bestes Businesstiming, Röntgenblick und Bauchgefühl. Spannend, denn es sind alles Sachen, die bei uns mehr oder weniger zu kurz gekommen sind.

Es gibt etwas zu knabbern und karibischen Rum mit Limetten und braunem Zucker. „Ti Punch“ heißt das Ganze, was einen kleinen Punsch bedeutet. Klein oder nicht, oft wiederholt zeigt er Wirkung. Pete, unser Gastgeber, wird langsam weicher, freundlicher und schließlich holt er die Gitarre raus. Wir sind sehr angenehm überrascht und warten gespannt auf die ersten Töne, die auch auf sich warten lassen. Als Pete, geraume Zeit und zwei Punsche später, den ersten Akkord spielt, wissen wir, dass er sich alles selbst beigebracht habe. Dabei handele es sich mehr oder weniger um einen Geniestreich der Natur, denn das Instrument und er seien für einander geschaffen. Er möge keine ausgetrampelten Pfade, also seien die Töne, die wir hören werden, einmalig, heißt es. Die Melodie unnachahmlich zusammengesetzt. Sie unterliege nicht den bekannten musikalischen Gesetzen. Nicht, dass er sie kenne, aber da wo man etwas erwarten würde, habe er was ganz anderes gemacht. Ein Wunderkind müsse man hinter dieser Handlung unmissverständlich erkennen.

Obwohl wir am Anfang der Lektion das Ganze als einen Witz vernommen haben, wird Inga und mir mit jedem nächsten Satz immer klarer, dass er es ernst meint. Umso neugieriger und gespannter werden wir, auf das, was wir hören werden. Das Instrument wird penibel genau gestimmt. Der Stimmvorgang erläutert. Es geht los!
Petes Stimme ist rau, aber stark und sicher. Wir hören sie kaum. Was wir hören ist der mörderische zwei-viertel Takt seiner einzigartigen, sagen wir mal, Rockballade, erbarmungslos geschmettert auf seiner Gitarre. Als er fertig ist, erklärt er uns einiges, was unbedingt zu beachten sei und schrammelt souverän das Gleiche erneut von Anfang bis zu Ende.

Ich spreche einen Dank für uns beide aus, mit dem vorsichtigen Vorschlag, dass er bitte ein kleines Bisschen leiser spielen solle, sodass wir seine Stimme besser hören könnten, in der Erwartung, dass er uns noch etwas anderes vorspielen würde.
Es hat uns also doch gefallen, hier bitte: das Autoportrait eines Musikgenies kommt ein drittes und…, gleich ein viertes mal in unveränderter Form.
Klar, Perfektion heißt, nichts entfernen oder hinzufügen können.
Cut!

Martinique, 09.09.2016

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